Die Bundestagsdrucksache 21/687 enthält die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur geplanten dauerhaften Senkung der Umsatzsteuer auf Speisen in der Gastronomie ab dem 1. Januar 2026. Im Zentrum steht eine kritische Auseinandersetzung mit der fiskalischen, sozialen und wirtschaftlichen Tragweite dieser Maßnahme.
1. Hintergrund und Zielsetzung der Maßnahme
Die Steuersenkung von 19 auf 7 Prozent soll nach Angaben der Bundesregierung primär der wirtschaftlichen Unterstützung der Gastronomiebranche dienen. Die Gleichstellung von Inhouse- und To-go-Speisen wird zudem als Ziel genannt. Ursprünglich im Zuge der Corona-Pandemie eingeführt, soll die Maßnahme nun verstetigt werden – trotz angespannter Haushaltslage und milliardenschwerer Investitionslücken.
2. Heterogene Wirkungserwartungen und Kritik
Während die Bundesregierung eine Entlastung von Unternehmen und Verbrauchern in Aussicht stellt, signalisieren Branchenvertreter, dass eine Preisreduktion kaum möglich sei – gestiegene Kosten für Energie, Personal und Waren verhinderten dies. Vielmehr könne durch die Steuerentlastung ein weiterer Preisanstieg verlangsamt werden. Damit ist unklar, ob die Maßnahme tatsächlich beim Konsumenten ankommt oder primär die Margen der Betriebe schützt. Das ZEW verweist zudem darauf, dass insbesondere einkommensstarke, kinderlose Haushalte von der Maßnahme profitieren würden – was sozialpolitisch fragwürdig ist.
3. Wirtschaftliche Datenlage
Der Anteil kleiner und mittlerer Unternehmen an der Speisegastronomie beträgt über 90 %, der Umsatz dieser Gruppe lag 2022 bei 50,6 Mrd. Euro. Große Unternehmen und Konzerne (über 250 Beschäftigte) machten lediglich rund 10 % des Umsatzes aus. Die Systemgastronomie lässt sich statistisch nicht trennscharf erfassen. Ein valider Vergleich zwischen urbanen Kettenbetrieben und ländlicher Gastronomie ist somit erschwert.
4. Verteilung der Steuerentlastung und fiskalische Implikationen
Die erwarteten Steuermindereinnahmen belaufen sich laut früheren Angaben auf rund 4 Mrd. Euro jährlich. Eine Gegenfinanzierung ist bislang nicht konkretisiert. Einige Länderfinanzminister – auch aus Regierungsparteien – kündigten bereits an, die Maßnahme aus haushaltspolitischen Gründen nicht mittragen zu wollen. Die Bundesregierung verweist auf die Zustimmungsbedürftigkeit im Bundesrat, bleibt aber eine klare Lösung schuldig.
5. Empirische Unsicherheiten und fehlende Wirkungsanalysen
Zur Frage, wie sich frühere temporäre Steuersenkungen auf Nachfrage, Preise oder Investitionen auswirkten, liegen der Bundesregierung keine belastbaren Erkenntnisse vor. Auch zur Entwicklung von Inhouse- und To-go-Verzehr bestehen keine differenzierten Daten. Dennoch wird erwartet, dass die Maßnahme positive Nachfrage- und Investitionsimpulse auslösen könne – dies bleibt jedoch spekulativ.
6. Systemkritik und Reformbedarf
Die Anfrage thematisiert die grundsätzliche Fragwürdigkeit von Umsatzsteuerausnahmen. Zwar erkennt die Bundesregierung an, dass ein einheitlicher Umsatzsteuersatz effizienter und bürokratieärmer wäre, doch plant sie in dieser Legislatur keine Reform des Umsatzsteuersystems. Auch eine Ausweitung der Steuererleichterungen auf andere Branchen sei nicht vorgesehen.
Fazit und kritische Würdigung
Die geplante Steuersenkung für Speisen in der Gastronomie ist fiskalisch kostspielig, sozialpolitisch fragwürdig und in ihrer Wirksamkeit empirisch kaum belegt. Sie begünstigt vor allem große urbane Betriebe und wohlhabende Verbrauchergruppen, ohne strukturelle Probleme – etwa auf dem Land – zu lösen. Die Bundesregierung kann weder garantieren, dass die Maßnahme zu niedrigeren Preisen noch zu mehr Investitionen führt. Angesichts der „dramatischen“ Haushaltslage, wie selbst Bundeskanzler Merz sie beschreibt, erscheint diese Maßnahme ökonomisch riskant und politisch nicht konsequent. Sie fügt sich ein in ein umsatzsteuerliches Flickwerk, das dringend einer durchdachten, systematischen Reform bedürfte.