Die US-Wirtschaft im Herbst 2025
Einleitung
Im Herbst 2025 präsentiert sich die US-Wirtschaft in einem Zustand, der Ökonomen und Analysten spaltet. Eine Rezession, die nach der aggressivsten Zinsstraffung der Federal Reserve seit Jahrzehnten und einer historisch langen Inversion der Zinskurve von vielen als unvermeidlich angesehen wurde, ist bislang ausgeblieben. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst moderat, die Arbeitslosenquote verharrt auf niedrigem Niveau und die Aktienmärkte notieren nahe ihrer Allzeithochs.
Doch unter der Oberfläche dieser scheinbaren Stärke tobt eine Debatte: Handelt es sich um eine echte, strukturelle Widerstandsfähigkeit und das Ergebnis meisterhafter Politik? Oder hat man lediglich durch massive fiskalische und monetäre Interventionen eine unvermeidliche Korrektur in die Zukunft verschoben und damit die langfristigen Risiken erhöht? Eine ausgewogene Analyse erfordert die Betrachtung beider Perspektiven.
Argumente für eine robuste und widerstandsfähige Wirtschaft
Befürworter der These einer „sanften Landung“ verweisen auf eine Reihe von fundamentalen Stärken und erfolgreichen politischen Weichenstellungen:
- Der stabile Arbeitsmarkt als Rückgrat: Trotz der Zinserhöhungen hat sich der US-Arbeitsmarkt als bemerkenswert robust erwiesen. Die Arbeitslosenquote liegt weiterhin unter 4 %, und das Lohnwachstum hat sich zwar verlangsamt, übersteigt aber die Inflationsrate, was die Kaufkraft der Haushalte stützt. Dieser stabile Arbeitsmarkt ist die primäre Kraft hinter dem anhaltend starken Konsum.
- Strukturwandel und Produktivitätsgewinne: Die Fokussierung auf einen schwächelnden Industriesektor greift zu kurz. Die US-Wirtschaft ist zu rund 80 % eine Dienstleistungswirtschaft. Während die Industrieproduktion stagnierte, zeigte der Dienstleistungssektor – von Gesundheitswesen über Informationstechnologie bis hin zu Finanzdienstleistungen – weiterhin Wachstum. Zudem gibt es Anzeichen für Produktivitätsgewinne durch den Einsatz neuer Technologien (insb. im Bereich KI), die langfristig das Potenzial für nicht-inflationäres Wachstum heben.
- Gezielte Fiskalpolitik als Investition: Die hohen Staatsausgaben werden von dieser Seite nicht nur als kurzfristiger Konsumstimulus, sondern als strategische Langzeitinvestition interpretiert. Gesetze wie der „Inflation Reduction Act“ (IRA) und der „CHIPS Act“ fördern gezielt Zukunftstechnologien wie erneuerbare Energien und Halbleiterproduktion. Dies stärkt die heimische Wettbewerbsfähigkeit und schafft hochqualifizierte Arbeitsplätze, was über den kurzfristigen Konjunkturzyklus hinauswirkt.
- Erfolgreiches Management der Federal Reserve: Aus dieser Perspektive hat die Fed einen meisterhaften Balanceakt vollzogen. Sie hat die Zinsen entschlossen genug angehoben, um die Inflation von ihren Höchstständen in den Jahren 2022/23 wieder einzufangen, und begann 2024/25 rechtzeitig mit leichten Zinssenkungen, um die Wirtschaft nicht abzuwürgen. Diese „datenabhängige“ Vorgehensweise wird als Triumph der modernen Geldpolitik gefeiert, die eine Rezession aktiv verhindert hat.
Argumente für eine künstlich gestützte und fragile Stabilität
Die skeptische Gegenposition, die im ursprünglichen Artikel vertreten wurde, warnt davor, die positiven Schlagzeilen für bare Münze zu nehmen. Ihre Argumente basieren auf tieferliegenden Ungleichgewichten:
- Die Last der Verschuldung: Die Stabilität wurde teuer erkauft. Die US-Staatsverschuldung hat Rekordniveaus erreicht, und das Haushaltsdefizit liegt mit über 6 % des BIP weiterhin deutlich über dem historischen Durchschnitt. Dies engt den zukünftigen Handlungsspielraum ein und macht die Wirtschaft anfällig für Schocks am Anleihemarkt. Auch die private Verschuldung, insbesondere bei Kreditkarten und Autokrediten, hat zugenommen, nachdem die Ersparnisse aus der Pandemiezeit aufgebraucht sind.
- Verzerrungen durch Geldpolitik: Die Kehrtwende der Fed hin zu Zinssenkungen wird von Kritikern als verfrüht angesehen. Sie argumentieren, dass dies nicht nur die Inflation wieder anfachen könnte, sondern auch eine „Moral-Hazard-Kultur“ fördert, in der Märkte und Unternehmen sich darauf verlassen, bei ersten Anzeichen von Schwäche von der Notenbank gerettet zu werden. Dies führe zu einer Fehlallokation von Kapital und fördere die Bildung von Vermögensblasen, wie die hohen Bewertungen am Aktienmarkt, insbesondere im Tech-Sektor, nahelegen.
- Die gespaltene Wirtschaft („Two-Tier Economy“): Die makroökonomischen Durchschnittswerte verschleiern eine wachsende Kluft. Während große, kapitalstarke Konzerne von ihrer früheren günstigen Finanzierung und ihrer Marktmacht profitieren, leiden kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) unter den gestiegenen Zinsen und strengeren Kreditvergabestandards. Dieser Teil der Wirtschaft, der einen Großteil der Arbeitsplätze schafft, zeigt deutliche Schwächesignale.
- Die Warnsignale der Frühindikatoren: Trotz der robusten Gesamtlage senden klassische Indikatoren weiterhin Warnsignale. Die Zinsstrukturkurve war über einen historisch langen Zeitraum invers – ein Signal, das in der Vergangenheit fast jede Rezession zuverlässig vorhersagte. Auch wenn seine Aussagekraft in der aktuellen, von massiven Notenbankinterventionen geprägten Zeit debattiert wird, warnen Skeptiker davor, dieses Signal vollständig zu ignorieren.
Synthese und Ausblick
Die Wahrheit über den Zustand der US-Wirtschaft im Herbst 2025 liegt wahrscheinlich zwischen diesen beiden Extremen. Es ist eine Ökonomie der Dualitäten: Sie ist widerstandsfähiger, als Pessimisten erwartet hatten, aber gleichzeitig anfälliger, als Optimisten zugeben möchten.
Die entscheidende Frage ist nicht, ob eine Rezession im Jahr 2026 eintritt, sondern vielmehr die Qualität des Wachstums. Basiert es auf nachhaltigen Produktivitätssteigerungen und privater Innovation, oder ist es weiterhin von staatlichen Defiziten und lockerer Geldpolitik abhängig?
Die Herausforderung für die Politik wird darin bestehen, die Wirtschaft von den „Stützrädern“ der massiven Interventionen zu entwöhnen, ohne dabei einen harten Absturz zu provozieren. Für Investoren und Unternehmen bedeutet dies ein Umfeld anhaltender Unsicherheit. Die Fähigkeit, zwischen strukturell gesunden Sektoren und künstlich aufgeblähten Blasen zu unterscheiden und sich gegen Volatilität abzusichern, wird wichtiger sein als je zuvor. Die Debatte, ob die Rezession besiegt oder nur verschoben wurde, bleibt somit offen.