Es passiert immer wieder und doch trifft es uns jedes Mal aufs Neue, wenn so ein Fall hochkocht und die Luft plötzlich nach faulen Versprechen riecht und alle so tun, als hätten sie es schon immer gewusst oder niemals ahnen können. Die neuen Mails aus dem Umfeld von Jeffrey Epstein reißen eine alte Wunde auf und man spürt beim Lesen sofort diese Mischung aus Müdigkeit und Wut, weil es wieder um junge Menschen geht, deren Leben zerstört wurden und um mächtige Männer, die sich angeblich an nichts erinnern wollen und um ein politisches System, das scheinbar erst dann reagiert, wenn der Skandal so laut wird, dass niemand ihn noch überhören kann.
Was wirklich hängen bleibt ist der Kontrast zwischen den Stimmen der Opfer und dem selbstgerechten Schweigen großer Persönlichkeiten, die seit Jahren Einfluss, Geld und Öffentlichkeit unter Kontrolle haben und sich bei Bedarf als ahnungslos darstellen. Genau an dieser Stelle wird es unangenehm, denn die Enthüllungen wirken nicht wie ein echter Schritt zur Aufklärung, sondern eher wie ein weiteres Kapitel eines politischen Schlagabtauschs, bei dem jede Seite die Ehre der eigenen Partei retten will. Dabei geht es um Menschen, um echtes Leid, um Biografien voller Brüche und um eine Betroffene, die ihr Leben lang gegen die Schatten der Vergangenheit kämpfte und am Ende daran zerbrach. Das ist der Punkt, an dem man kurz schlucken sollte, bevor man weiterliest.
Gleichzeitig kann man nicht übersehen, wie bereitwillig Politiker und Medien den Fall ausschlachten. Die einen sehen darin den ultimativen Beweis für die Verdorbenheit der Gegenseite, die anderen erklären alles zum Ablenkungsmanöver und wieder andere nutzen den Tod einer Frau, um die eigene Version der Wahrheit zu stärken. Man merkt die Ungeduld, das Bedürfnis nach der großen Schlagzeile, nach dem kurzen Moment von Triumph oder Empörung und die eigentliche Frage tritt in den Hintergrund, nämlich ob es tatsächlich eine politische Kultur gibt, die fähig wäre, Machtmissbrauch wirklich aufzuarbeiten ohne Rücksicht auf parteipolitische Vorteile.
Der Fall zeigt wieder einmal, wie tief der Graben geworden ist. Niemand glaubt mehr irgendwem, alle wittern Manipulation, niemand vertraut der Veröffentlichung von Dokumenten, niemand vertraut dem, was Pressevertreter sagen und am wenigsten vertraut man den Erklärungen der politischen Lager, die immer nur dann Transparenz verlangen, wenn sie ihnen selbst nutzt. Die Wahrheit wirkt wie ein Nebel am frühen Morgen, man glaubt sie zu sehen und im nächsten Augenblick löst sie sich auf. Und wer leidet darunter. Nicht die Leute, die schon seit Jahrzehnten im Zentrum der Macht stehen, sondern die, deren Geschichten eigentlich gehört werden müssten.
Wenn wir ehrlich sind, hat der Fall Epstein nie eine echte Chance auf saubere Aufklärung gehabt, weil zu viele berühmte Namen daran hängen und zu viele Interessen im Spiel sind. Die jetzt erneut veröffentlichten Mailausschnitte helfen kaum weiter, weil sie Fragen aufwerfen und kaum Antworten liefern und weil jede Seite sofort in Kampfstellung geht. Doch eines zeigen sie sehr klar. Irgendetwas stimmt nicht in einem System, das es zulässt, dass Menschen mit enormer Macht über Jahrzehnte Dinge tun konnten, die niemand kontrollierte und das gleichzeitig dafür sorgt, dass die Aufarbeitung bis heute wie ein schlecht geführter Boxkampf wirkt, bei dem beide Seiten aufeinander einprügeln, während das eigentliche Thema wehrlos in der Ecke liegt.
Es bleibt das Gefühl, dass eine Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, ihre dunklen Geschichten gerade auszuerzählen, irgendwann Gefahr läuft, sie zu wiederholen. Macht braucht Kontrolle und Kontrolle braucht Mut und derzeit sieht es nicht so aus, als würde irgendjemand genug Mut besitzen, um alle Karten auf den Tisch zu legen. Wir sollten uns fragen, was das über uns aussagt und ob wir wirklich akzeptieren wollen, dass die Wahrheit immer am lautesten geschrien wird, aber am seltensten gehört.
