Trotz Rekordgewinnen: EZB sieht systemische Risiken auf historischem Höchststand

Die europäischen Währungshüter senden ein paradoxes Signal an die Finanzmärkte: Während die Bilanzen der Großbanken so robust erscheinen wie seit Jahren nicht, warnt die EZB-Aufsicht mit ungewöhnlicher Schärfe vor einem „beispiellosen“ Bedrohungsszenario. Die Botschaft aus dem Eurotower ist unmissverständlich: Die aktuelle Profitabilität darf nicht über die tektonischen Verschiebungen in der Geopolitik und der Realwirtschaft hinwegtäuschen.

Solide Fundamentaldaten als trügerisches Polster?
Der aktuelle Befund der Aufsichtsbehörde liest sich zunächst wie eine Bestätigung der Post-Nullzins-Ära. Die Institute im Euroraum profitieren massiv von Zinsüberschüssen; die Eigenkapitalrendite wird für Mitte 2025 auf gut zehn Prozent taxiert. Auch die Kapitaldecke ist dick: Die harte Kernkapitalquote soll im kommenden Jahr stabil bei durchschnittlich 11,2 Prozent liegen. Für die deutschen Branchenschwergewichte Deutsche Bank und Commerzbank wurden die Kapitalanforderungen sogar leicht gesenkt – ein Vertrauensbeweis in die Sanierungserfolge der letzten Jahre.

Doch Claudia Buchs Aufsichtsteam macht deutlich, dass diese Zahlen eher den Rückspiegel als die Frontscheibe beschreiben. „Sich auf den gestiegenen Gewinnen auszuruhen“, sei keine Option.

Das Narrativ der „extremen Ereignisse“
Der Tonfall der EZB hat sich merklich verfinstert. Das Risiko für „extreme Ereignisse“ im Finanzsystem sei „so hoch wie nie zuvor“. Die Zentralbank identifiziert hierbei keine klassischen Bankenkrisen, sondern exogene Schocks. Im Zentrum der Sorge steht eine toxische Mischung aus geopolitischen Spannungen und einer zunehmend protektionistischen Handelspolitik.

Insbesondere potenzielle Handelskonflikte zwischen den USA und der EU werden als signifikante Gefahr für die Asset-Qualität der Banken identifiziert. Die Logik der Aufsicht ist dabei stringent: Leiden die Exportbranchen unter Zöllen und Deglobalisierung, landen die Verluste zeitversetzt in den Kreditbüchern der Banken. Die EZB nennt hier explizit die Schlüsselindustrien Automobil, Chemie und Pharma als potenzielle Transmissionsriemen dieser Krise.

Stresstests und struktureller Wandel
Neben der Geopolitik zwingen strukturelle Faktoren die Banken in die Defensive. Der demografische Wandel, die Kosten der grünen Transformation („Klima- und Naturkrisen“) sowie der Wettbewerbsdruck durch unregulierte Nicht-Banken und die Digitalisierung nagen an den Geschäftsmodellen.

Die Antwort der Aufsicht ist eine Flucht nach vorn: Geplant sind neue Stresstests, bei denen den Instituten harte Szenarien für Vermögensverluste vorgegeben werden. Es geht nicht mehr nur um Liquidität, sondern um die nackte Widerstandsfähigkeit gegenüber politischen Schocks. Die EZB fordert eine „umsichtige Kreditvergabe“, um das Entstehen neuer Problemkredite (NPLs) präventiv zu verhindern.

Fazit
Die europäischen Banken sind gutwettertauglich saniert. Ob ihre Rümpfe jedoch den Stürmen einer geoekonomisch fragmentierten Welt standhalten, ist die große Unbekannte, auf die Frankfurt nun mit Nachdruck hinweist.


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