Auswanderungstrends und Zielländer – präzise, nuanciert, mit Fallstricken

Zunächst die harten Fakten. Deutschland verzeichnet weiterhin eine positive Gesamtmigration: 2024 standen rund 1,694 Mio. Zuzügen etwa 1,264 Mio. Fortzüge gegenüber; der Wanderungssaldo lag bei +420–430 Tsd. Personen (vorläufige Ergebnisse). 2023 waren es 1,933 Mio. Zuzüge und 1,270 Mio. Fortzüge. Das untermauert: Die „große Abwanderungswelle“ existiert auf gesamtgesellschaftlicher Ebene so nicht – wohl aber der seit Jahren negative Saldo speziell bei deutschen Staatsangehörigen.
Zur Demografie: Unter den Deutschen, die 2023 ins Ausland gingen, war rund die Hälfte 25–49 Jahre alt (50,2 %); 65+ machte nur 6,1 % aus. Das korrigiert das verbreitete Bild, Auswanderung sei primär ein Ruhestandsthema.

Motive: Was wir wissen – und was nicht

Offizielle Statistiken erfassen die individuellen Auswanderungsmotive nicht systematisch. In der Forschungsliteratur dominieren berufliche Gründe (bessere Karrierechancen, Einkommen, Forschungs- und Innovationsumfeld) und Lebensstilfaktoren; politische Unzufriedenheit kann eine Rolle spielen, ist empirisch aber schwer zu quantifizieren. Vorsicht deshalb vor monokausalen Narrativen.

Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG): größte Hürde für Unternehmer mit GmbH-/AG-Anteilen

Kernmechanik: Beim Wegzug gilt ein fiktiver Veräußerungsgewinn auf wesentliche Kapitalgesellschaftsanteile als realisiert; darauf fällt Einkommensteuer an („Schlussbesteuerung“). Seit Umsetzung der EU-ATAD greift eine (zinsfreie) Ratenzahlung über sieben Jahre – regelmäßig gegen Sicherheiten und bei strengen Mitwirkungspflichten. Die früher großzügige, unbefristete EU/EWR-Stundung wurde dabei abgelöst; für bestimmte Altfälle (z. B. Schweiz vor 1.1.2022) hat das BMF 2025 Sonderregeln veröffentlicht. Operativ ist § 6 AStG komplex und sanktionsträchtig; eine frühzeitige Strukturierung (Holding, Teilveräußerung, Einbringung/UmwStG-Fälle) ist Pflicht.

Beliebte und „aufstrebende“ Zielländer – Stärken, Schwächen, Tauglichkeit nach Profil

Die Top-Zielländer deutscher Staatsangehöriger variieren im Detail, doch die DACH-Nachbarn und die USA zählen regelmäßig zur Spitzengruppe; innerhalb Europas dominiert die Abwanderung in andere EU-Staaten. Für die strategische Auswahl kommt es weniger auf Rankings als auf Passung von Steuer-, Visa-, Arbeits- und Lebenshaltungskriterien an.

Spanien (Aufsteiger für Gründer & Remote-Arbeit): Gründung einer S.L. seit der „Ley Crea y Crece“ formell schon mit 1 € Stammkapital möglich; Verfahren sind stärker digitalisiert (CIRCE). Zusätzlich erleichtert die „Startup-Law“ (Ley 28/2022) Aufenthalte für Gründer, Fachkräfte und den digitalen Nomadenstatus. Steuerlich bleibt Spanien kein Niedrigsteuerland, aber die administrative Einstiegshürde ist gesunken.
VAE/Dubai (steuerlich attraktiv, aber teurer Standort): Seit 2023 gilt eine Körperschaftsteuer von 9 % auf Gewinne oberhalb 375.000 AED; darunter 0 %. Free-Zone-Gesellschaften können für „Qualifying Income“ effektiv bei 0 % bleiben – das ist aber an Substanz- und Aktivitätskriterien geknüpft und kein pauschaler „Nullsteuer-Freibrief“. Lebenshaltung und Mieten sind hoch; die Standortwahl will kaufmännisch durchgerechnet sein.
Italien (zwei getrennte Instrumente):
„Impatriati“-Regime (seit 2024 neu gefasst): Qualifizierte Rückkehrer/Neuzuziehende versteuern Erwerbseinkünfte nur zu 50 % (bis 600.000 € p. a.), Laufzeit 5 Jahre; besondere Aufschläge bei Kindern möglich. Bürokratisch nicht trivial, aber planbar.
Flat Tax für „Neo-Residenti“ (Art. 24-bis TUIR): Pauschalsteuer auf ausländische Einkünfte; seit August 2024 für neue Fälle von 100.000 € auf 200.000 € p. a. angehoben (Family-Mitnahme +25.000 € je Angehörigem). Für sehr Vermögende/International-Einkommende interessant – für „normale“ Erwerbseinkommen unpassend.
Zypern (Territorial- und „Non-Dom“-Logik): 12,5 % Körperschaftsteuer; Nicht-Domizilierte sind u. a. auf Dividenden/Zinsen von der Sozialabgabe (SDC) befreit (zeitlich befristet). Attraktiv für Kapital- und Dienstleistungsstrukturen; beachten: Substanz, Substance-Nachweise und internationale Mindeststeuer-Entwicklungen.
Georgien (unternehmerfreundlich für Kleinunternehmer/IT): „Small Business Status“ mit 1 % Umsatzsteuer (bis zur gesetzlich festgelegten Umsatzgrenze) – formal einfach, praktisch skalierbar nur in bestimmten Modellen; die bekannten „Virtual-Zone“-Vorteile betreffen spezifisch exportierende IT-Leistungen. Sorgfältig auf reale Tätigkeit/Substanz prüfen.
Portugal (Nachfolge des NHR): Das weit gefasste NHR-Regime wurde 2024/25 durch ein spitzeres Innovations-/Forschungs-Regime ersetzt (20 % auf begünstigte Erwerbseinkünfte, zehn Jahre; teilweise Freistellungen für Auslandsquellen). Damit bleibt Portugal attraktiv – aber nicht mehr pauschal für jede Wissensarbeiter-Biografie.
Thailand (planbarer Langzeitaufenthalt mit Arbeitsoption): Das 10-jährige LTR-Visum (vier Kategorien, u. a. „Work-from-Thailand Professionals“) bietet klare Einkommens-/Qualifikationspfade und administrative Vorteile (u. a. Jahresmeldung statt 90-Tage-Meldung). Für Remote-Beschäftigte mit hoher Qualifikation ein ernstzunehmender Asien-Hub.

Einordnung beliebter Narrative – was stimmt, was nicht?

„Dubai ist steuerfrei“ – nur eingeschränkt. Der 0-%-Mythos greift zu kurz; die 9 % KSt ab 375.000 AED, die Regeln für Free-Zones und die (zunehmend ernst genommene) Substanzprüfung relativieren das. Wer rein fiskalisch migriert, riskiert teure Fehlkalkulationen.
„Italien schenkt 70 % Steuerfreiheit“ – veraltet. Die alte 70 %-Entlastung im Impatriati-Regime ist reformiert; seit 2024 gilt die 50 %-Einbeziehung (bis 600.000 €) – parallel existiert die Flat-Tax (jetzt 200.000 €) für Auslands-Einkünfte, beides völlig unterschiedliche Instrumente.
„Gründen in Spanien ist immer noch Papierkrieg“ – nicht mehr generell. Crea-y-Crece und die Start-up-Law haben Einstieg und Tele-Arbeits-pfade modernisiert; die Praxis ist besser als ihr Ruf – steuerlich bleibt Spanien gleichwohl kein „Schnäppchen“.

Praxisfahrplan

  1. Steuerliche Machbarkeitsstudie statt Bauchgefühl: Wegzugsbesteuerung modellieren (Zeitpunkt, Bewertung, Raten, Sicherheiten, Alternativen), Doppelbesteuerungsabkommen und Quellensteuern prüfen.
  2. Zielland nicht nur nach Steuersatz wählen, sondern nach Gesamtlast (Steuern, Sozialbeiträge, Versicherungen), Substanz- und Aufenthaltsrecht, Faktorkosten (Miete/Löhne), Regulatory Friction (Lizenz-, Reporting- und Buchhaltungspflichten), Marktzugang.
  3. Visa/Arbeitsrecht sauber klären: Ob Digital-Nomad-Status (Spanien) oder LTR (Thailand) – Status und erlaubte Tätigkeit müssen passen; „Arbeiten auf Touristenstatus“ ist rechtlich riskant. F
  4. Unternehmensstruktur schlank halten: Holding-Überbau ja – aber nur, wenn Substanzanforderungen (Personal, Büro, Entscheidungen) realistisch erfüllbar sind; sonst drohen Anti-Missbrauchsregeln und „effective management“-Zurechnungen.
  5. Exit-Strategie mitdenken: Rückkehr, Teilveräußerung, Earn-Outs, Wegfall der Begünstigung (z. B. Flat-Tax-Optionen) müssen modelliert sein, bevor man den ersten Mietvertrag unterschreibt.

Kurzfazit

Die beobachtete Auswanderung qualifikationsstarker Deutscher ist real – aber heterogen motiviert. Wer primär Bürokratie und Behördengänge scheut, findet heute in Spanien oder (unter Bedingungen) in den VAE effizientere Setups; wer arbeits- und aufenthaltsrechtliche Planbarkeit sucht, fährt mit Thailand (LTR) oder klassisch mit Österreich/Schweiz solide. Italien bleibt mit reformiertem Impatriati-Regime und erhöhter Flat-Tax ein Magnet für definierte Profile – nicht für alle. Der größte Stolperstein für Unternehmer:innen bleibt die Wegzugsbesteuerung; ohne belastbares Tax-/Legal-Setup ist jeder vermeintliche Standortvorteil schnell dahin. Eine nüchterne, gesamtökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung – nicht die Schlagzeile – sollte den Ausschlag geben.


Top-Ziele 2025 – Klassiker und Aufsteiger

  • Schweiz: Unangefochtener Spitzenreiter mit stabiler Wirtschaft, hohen Einkommen und politischer Neutralität.
  • Österreich: Gemeinsame Sprache, hohe Lebensqualität, moderate Steuerbelastung im Vergleich zu Deutschland.
  • USA: Trotz Visumshürden attraktiv für Unternehmer und Fachkräfte, wenngleich die Zahlen rückläufig sind.
  • Spanien: Digitalisierungsschub bei Unternehmensgründungen, angenehmes Klima, wachsender Remote-Work-Sektor.
  • VAE (Dubai): Steuerlich interessant für hohe Unternehmensgewinne; jedoch hohe Lebenshaltungskosten und kulturelle Anpassungsanforderungen.
  • Italien: Attraktive Steuervergünstigungen für Neuansiedler, insbesondere in strukturschwachen Regionen.
  • Dänemark: Vorbildliche Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen und transparente Steuerstruktur.
  • Paraguay: Niedrige Eintrittshürden für Daueraufenthalt, geringe Lebenshaltungskosten, wachsende Expat-Community.

Weitere interessante Destinationen

  • Kanada: Gezielte Anwerbung qualifizierter Fachkräfte über Punktesystem; stabile Demokratie und gute Sozialstandards.
  • Singapur: Extrem unternehmensfreundlich, niedrige Steuern, Asien-Drehscheibe für Handel und Technologie.
  • Zypern: EU-Mitglied, Non-Dom-Regelung für ausländische Einkünfte, attraktives Klima.
  • Georgien: Sehr niedrige Steuern für Kleinunternehmer, einfache digitale Gründung, strategische Lage zwischen Europa und Asien.
  • Portugal: Auch nach Auslaufen des NHR-Regimes weiterhin beliebt wegen Klima und Lebensqualität.
  • Thailand: Langfrist-Visa für Investoren und Remote-Arbeiter, kostengünstiger Lebensstil in urbanen Zentren.
  • Mexiko: Flexible Visa-Regelungen, boomende Digitalnomaden-Szene, moderate Lebenshaltungskosten.
  • Costa Rica: Politisch stabil, ökologisch orientiert, steuerlich moderat.

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