Die Welt der ETFs galt lange als Hort nüchterner Vernunft. Indexfonds, einst erfunden als günstige, transparente und streng passive Anlageinstrumente, erlaubten es dem bürgerlichen Anleger, mit geringsten Kosten am Wohlstand der Volkswirtschaften zu partizipieren. Mit dem Aufstieg sogenannter Covered-Call-ETFs aber wird dieser klare Gedanke verwässert – und es stellt sich die Frage, ob wir hier nicht einer gefährlichen Modeerscheinung auf den Leim gehen.
Das Prinzip klingt zunächst verlockend: Der Fonds hält Aktien eines breiten Index, verkauft darauf Kaufoptionen und schüttet die vereinnahmten Optionsprämien aus. Heraus kommen Renditen, die auf dem Papier weit über den Ausschüttungen klassischer Dividendenfonds liegen. Zweistellige Ausschüttungsraten sind keine Seltenheit. In einer Zeit, in der viele Anleger nach laufendem Einkommen dürsten – ob zur Aufbesserung der Rente oder als Alternative zum zinslosen Sparbuch –, wirkt dieses Versprechen geradezu unwiderstehlich.
Doch der kritische Blick verlangt Klarheit: Diese Ausschüttungen sind kein Geschenk, sondern ein Tauschgeschäft. Die hohen laufenden Erträge entstehen dadurch, dass man auf künftige Kursgewinne verzichtet. Steigen die Märkte kräftig, bleibt der Covered-Call-Anleger zurück. Langfristig bedeutet dies: weniger Vermögenszuwachs, geringere Teilhabe am Produktivitätsfortschritt der Wirtschaft. Noch problematischer ist, dass ein Teil der vermeintlich hohen Ausschüttungen in Wahrheit „Return of Capital“ ist – also nichts anderes als die Rückgabe des eigenen eingesetzten Kapitals. Für einen konservativen Anleger, der Substanz erhalten oder gar mehren will, ist dies eine Mogelpackung.
Zudem widersprechen solche Produkte dem ursprünglichen ETF-Ideal. ETFs sollten einfache, kostengünstige Marktinstrumente sein, keine komplexen Vehikel mit eingebauter Optionsstrategie. Mit Kostenquoten von 0,35 bis 0,60 Prozent liegen Covered-Call-ETFs ein Mehrfaches über jenen klassischer Indexfonds. Anleger bezahlen also teure Gebühren für eine Strategie, die per Definition ihr Aufwärtspotenzial beschneidet.
Kritisch betrachtet, ist das Phänomen Ausdruck eines altbekannten Verhaltens: die Jagd nach dem schnellen Ertrag. In Wahrheit jedoch lässt sich ökonomischer Wohlstand nicht durch das Jonglieren mit Derivaten dauerhaft mehren. Er entsteht durch Produktivität, Innovation und langfristige Kapitalbildung. Wer heute Optionsprämien kassiert, opfert morgen Wachstumschancen.
Der Boom dieser Produkte in den USA – mit Kapitalzuflüssen von über 100 Milliarden Dollar in nur drei Jahren – zeigt weniger die Überlegenheit der Strategie als vielmehr die Verunsicherung vieler Privatanleger, die sich nach „sicheren“ Einkünften sehnen. Doch ökonomisch gilt ein eiserner Grundsatz: Ausschüttungen sind kein Selbstzweck. Entscheidend ist die Gesamtrendite aus laufenden Erträgen und Kursgewinnen. In dieser Disziplin haben Covered-Call-ETFs dem reinen Marktindex langfristig kaum etwas entgegenzusetzen.
Fazit: Mit kritischer Sicht sind Covered-Call-ETFs eine Einkommensillusion, die das Wesen des ETFs pervertiert. Sie bedienen kurzfristige Bedürfnisse, gefährden jedoch langfristigen Vermögensaufbau. Wer sein Kapital erhalten und mehren will, ist mit klassischen Indexfonds besser beraten – nüchtern, günstig und wachstumsorientiert.