Das klassische Dividend Discount Model (DDM) ist ein fundamentales Bewertungsmodell aus der Finanzwirtschaft zur Ermittlung des inneren Werts (fair value) einer Aktie. Es basiert auf der Annahme, dass der Wert einer Aktie dem Barwert aller zukünftigen Dividendenzahlungen entspricht, die ein Anleger aus dem Besitz dieser Aktie erwartet.
1. Grundidee des DDM
Das Modell geht davon aus, dass der Wert eines Unternehmens (bzw. seiner Aktie) durch den Kassenfluss an die Eigentümer bestimmt wird – und dieser Kassenfluss ist bei Aktiengesellschaften in der Regel die Dividende.
Der zentrale Gedanke ist:
Eine Aktie ist genau so viel wert, wie die Summe der auf heute abdiskontierten zukünftigen Dividendenzahlungen.
2. Die einfache (klassische) Form: Gordon Growth Model
Die bekannteste und einfachste Variante ist das sogenannte Gordon Growth Model (auch „Gordon-Shapiro-Modell“), das folgende Annahmen trifft:
- Das Unternehmen zahlt eine Dividende.
- Diese Dividende wächst jährlich mit einer konstanten Rate.
- Die Diskontierungsrate (Kapitalisierungszinsfuß) bleibt konstant.
- Das Unternehmen existiert unendlich lange.
Die Formel lautet: [math]P_0 = \frac{D_1}{r – g}[/math]
Dabei ist:
- [math]P_0[/math]: heutiger (innerer) Wert der Aktie
- [math]D_1[/math]: erwartete Dividende im nächsten Jahr
- [math]r:[/math] geforderte Eigenkapitalrendite (Kapitalisierungszinsfuß)
- [math]g[/math]: konstantes Dividendenwachstum pro Jahr
3. Kritische Annahmen und Schwächen
Obwohl das DDM theoretisch elegant und intuitiv ist, ist es in der Praxis nur unter bestimmten Bedingungen sinnvoll anwendbar:
a) Voraussetzung der Dividendenausschüttung
Nur Unternehmen, die regelmäßig Dividenden zahlen, können mit dem klassischen DDM bewertet werden. Wachstumsunternehmen, die Gewinne reinvestieren, entziehen sich der Logik dieses Modells.
b) Konstantes Wachstum unrealistisch
Die Annahme eines konstanten Dividendenwachstums ist häufig unzutreffend – insbesondere in dynamischen Märkten oder bei Unternehmen mit volatilen Geschäftsmodellen.
c) Hohe Sensitivität gegenüber den Parametern
Das Modell reagiert extrem sensibel auf kleine Änderungen der Inputgrößen – insbesondere bei [math]r \approx g[/math], was zu stark verzerrten Ergebnissen führen kann.
d) Vernachlässigung anderer Werttreiber
Das DDM betrachtet nur Dividenden, nicht aber Rückkäufe, Thesaurierungen oder Wertbeiträge aus nicht ausgeschütteten Gewinnen, die aber ebenfalls Aktionären zugutekommen können.
4. Varianten des DDM
Um den praktischen Einschränkungen zu begegnen, wurden Varianten entwickelt:
- Mehrstufiges DDM: Dividendenwachstum in mehreren Phasen (z. B. zuerst hohes Wachstum, später stabiles Wachstum).
- Zero Growth DDM: Konstante Dividende ohne Wachstum (für z. B. Versorger mit stabilen Ausschüttungen).
- Nichtkonstantes DDM: Individuelle Modellierung der Dividendenjahre – besonders für kurzfristige Prognosen.
5. Fazit
Das klassische Dividend Discount Model ist ein eleganter, aber stark vereinfachender Ansatz, der vor allem bei stabilen, dividendenstarken Unternehmen (z. B. Telekommunikation, Versorger, Banken) Anwendung findet. Für dynamische Wachstumsunternehmen, Start-ups oder Firmen ohne Dividendenpolitik ist es jedoch nicht geeignet. In der heutigen Praxis wird es daher häufig durch komplexere Cashflow-basierte Modelle, wie das Discounted Cash Flow-Verfahren (DCF), ersetzt oder ergänzt.
Beispielrechnung zum DDM
Ein Unternehmen hat im letzten Jahr eine Dividende von EUR 2,00 pro Aktie ausgeschüttet. Die Analysten erwarten, dass die Dividende künftig jährlich um 5 % wächst. Der Anleger fordert eine Eigenkapitalrendite von 9 % (also den Diskontierungssatz).
Gegeben:
- [math]D_0 = \text{EUR 2,00} (letzte gezahlte Dividende)[/math]
- [math]g = 5\,\% = 0{,}05[/math] (konstantes Dividendenwachstum)
- [math]r = 9\,\% = 0{,}09[/math] (geforderte Eigenkapitalrendite)
Schritt 1: Berechnung der nächsten Dividende
[math]D_1 = D_0 \times (1 + g) = 2{,}00 \times 1{,}05 = \text{EUR 2,10}[/math]
Schritt 2: Berechnung des inneren Werts der Aktie
[math]P_0 = \frac{D_1}{r – g} = \frac{2{,}10}{0{,}09 – 0{,}05} = \frac{2{,}10}{0{,}04} = \text{EUR 52,50}[/math]
Interpretation
Nach dem klassischen DDM beträgt der faire (innere) Wert der Aktie EUR 52,50. Ist der aktuelle Börsenkurs niedriger (z. B. EUR 45,00), könnte die Aktie unterbewertet sein und als Kaufgelegenheit gelten – vorausgesetzt, die Annahmen (z. B. Dividendenwachstum, Diskontierungsrate) sind realistisch.
Sensitivitätsanalyse (kritischer Punkt)
Ändert sich nur die Wachstumsrate leicht, wirkt sich das drastisch auf den berechneten Wert aus:
- Bei [math]g = 6\,\%[/math]: [math]P_0 = \frac{2{,}12}{0{,}09 – 0{,}06} = \frac{2{,}12}{0{,}03} ≈ \text{EUR 70,67}[/math]
- Bei [math]g = 4\,\%[/math]: [math]0P_0 = \frac{2{,}08}{0{,}09 – 0{,}04} = \frac{2{,}08}{0{,}05} = \text{EUR 41,60}[/math]
Bereits ein Prozentpunkt Unterschied beim erwarteten Dividendenwachstum verändert den Unternehmenswert signifikant. Das zeigt, wie empfindlich und riskant das Modell sein kann, wenn Annahmen unsicher sind.