„Grenzen dicht“ war gestern – Wie Friedrich Merz die Migrationspolitik still beerdigt

Noch im Wahlkampf donnerte Friedrich Merz mit markigen Worten gegen die angeblich verfehlte Migrationspolitik der Ampelkoalition. Kaum ein Wahlkampfauftritt, in dem nicht von „massivem Kontrollverlust“, „Pull-Faktoren“ und der Notwendigkeit, „am ersten Tag die Grenzen zu schließen“, die Rede war. Migration war der Hebel, mit dem Merz das Kanzleramt erobern wollte – und er war erfolgreich. Doch kaum hat er den Amtssitz übernommen, ist von dieser Entschlossenheit kaum noch etwas zu hören. Die Migrationspolitik, einst Dreh- und Angelpunkt seiner politischen Kampagne, ist still und leise in den Hintergrund gerückt.

Was ist passiert?

In seinem ersten großen Fernsehinterview als Kanzler – dem Brennpunkt der ARD – spricht Merz über Koalitionsdisziplin, Wirtschaftswachstum, industrielle Renaissance, digitale Ministerien und außenpolitische Verantwortung. Die Migration taucht nur am Rande auf – als „harte Auseinandersetzung nach dem Anschlag von Aschaffenburg“. Kein Wort zu einem Migrationsgesetz, keine Ankündigung konkreter Maßnahmen, keine Anweisung im Sinne der oft beschworenen Richtlinienkompetenz. Die zentrale Frage, wie er sein zentrales Wahlversprechen umzusetzen gedenkt, bleibt unbeantwortet.

Von der Rhetorik zur Realpolitik – oder zur Realflucht?

Natürlich: Der Kanzler weiß, dass vollmundige Forderungen nach „Grenzschließung“ rechtlich kaum haltbar sind. Die Genfer Flüchtlingskonvention, das EU-Recht, die Freizügigkeit im Schengen-Raum – all das lässt sich nicht mit einem Federstrich ignorieren. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit klar gemacht: Menschen auf der Flucht haben das Recht, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen, unabhängig davon, wie sie eingereist sind.

Aber die Frage ist nicht nur juristisch, sondern auch politisch: Warum wurde Migration zur zentralen Kampfansage im Wahlkampf, wenn jetzt offensichtlich keinerlei politische Priorität mehr besteht, dieses Thema konkret anzupacken?

Zwischen Entschärfung und Enttäuschung

Es ist ein altbekanntes Muster: In der Opposition werden Maximalforderungen formuliert, an der Regierung kommt die Realität. Doch bei Merz wirkt dieser Wandel nicht wie Einsicht, sondern wie taktisches Schweigen. Er vermeidet die Debatte, statt sie zu gestalten. Dabei wäre gerade jetzt eine differenzierte, aber klare Migrationsstrategie dringend notwendig.

Die Realität ist: Deutschland hat ein Migrationsproblem – strukturell, administrativ, integrationspolitisch. Gleichzeitig braucht Deutschland Migration – ökonomisch, demografisch, sozial. Der Spagat, diese widersprüchlichen Aspekte zusammenzuführen, wäre die eigentliche politische Führungsleistung. Doch Merz beschränkt sich darauf, den Migrationsdiskurs leise auslaufen zu lassen. Es wirkt, als wolle er weder seine konservative Basis provozieren noch die Koalitionspartner SPD und CSU zu offenen Konflikten zwingen.

Das Schweigen ist nicht neutral – es ist gefährlich

Merz’ Ausweichen ist nicht bloß taktisch – es überlässt das Feld den Extremen. Wenn der Kanzler, der sich selbst als Anwalt der „politischen Mitte“ inszeniert, keine glaubwürdige Migrationspolitik formuliert, entsteht ein Vakuum, das andere füllen.

Statt einer integrativen Strategie entsteht so ein Mosaik der Fragmentierung, in dem Migration entweder als Bedrohung oder als Verwaltungsakt behandelt wird – aber nie als gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die klug, human und pragmatisch gelöst werden muss.

Fazit: Ein Kanzler ohne Kompass in der Migrationsfrage

Friedrich Merz hat sich durch seine Kanzlerwahl manövriert, doch seine politische Glaubwürdigkeit hängt nun am seidenen Faden. Wer im Wahlkampf Migration zur Schicksalsfrage erklärt, darf sie in der Regierung nicht ignorieren.

Wenn er jetzt schweigt, verliert er nicht nur den Rückhalt bei jenen, die seine harte Linie gewählt haben – er verlässt auch das Feld einer gestaltenden Migrationspolitik kampflos. Das ist kein Zeichen von Vernunft, sondern von politischer Mutlosigkeit.

Deutschland braucht eine neue Migrationspolitik – aber sie braucht auch eine Regierung, die bereit ist, sie zu formulieren. Derzeit sieht es nicht danach aus, als wäre Friedrich Merz dieser Kanzler.


Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Es tut uns leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!

Lasse uns diesen Beitrag verbessern!

Wie können wir diesen Beitrag verbessern?

Disclaimer: Dieser Beitrag dient lediglich zu allgemeinen Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Bitte konsultieren Sie vor jeder Anlageentscheidung einen unabhängigen Finanzberater