1. Lars Klingbeil
Lars Klingbeil hat im ZDF-Sommerinterview in Scheeßel versucht, das Bild eines entschlossenen Politikers zu zeichnen. Der SPD-Vorsitzende, der zugleich Finanzminister und Vizekanzler ist, sprach mit spürbarer Schwere über die Misere seiner Partei, die Finanzlage des Bundes und die brüchige Architektur der Berliner Koalition. Inmitten dieser Gemengelage fiel vor allem seine Position zu Steuererhöhungen auf – ein Thema, das seit Jahrzehnten zuverlässig für Polarisierung sorgt.
Klingbeil schloss Steuererhöhungen ausdrücklich nicht aus. Auf die konkrete Nachfrage, ob er sich eine Anhebung der Abgabenlast vorstellen könne, antwortete er unmissverständlich: „Ich nehme keine Option vom Tisch.“ Mit dieser Formulierung deutet er an, dass er alle Instrumente nutzen will, um die milliardenschwere Lücke im Bundeshaushalt zu schließen. Sein Ansatz ist, ein „Gesamtpaket“ zu schnüren – und dazu könnten eben auch Steuererhöhungen gehören.
Allerdings richtet er den Blick klar auf eine begrenzte Zielgruppe: „Menschen, die viel verdienen“, „superhohe Vermögen haben“ oder „hohe Einkommen“ erzielen. Die Steuerdebatte soll sich nicht auf die arbeitende Mittelschicht beziehen, sondern auf eine kleine, wohlhabende Elite. Seine Begründung folgt der klassischen SPD-Linie: Es gehe um Gerechtigkeit, darum, dass jene, die ohnehin im Überfluss leben, einen spürbaren Beitrag leisten, „damit diese Gesellschaft gerechter wird“. Klingbeil stellt damit die sozialdemokratische Kernüberzeugung ins Zentrum, auch wenn dieser Kurs in der politischen Praxis regelmäßig mit Widerständen kollidiert.
2. Karsten Linnemann
Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, hat in einem internen Brief an die Parteimitglieder eine ernüchternde Bilanz der ersten Monate der schwarz-roten Koalition gezogen. Er beklagt, dass die allgemeine Stimmungslage im Land „nicht so gut wie gewünscht“ sei. Dabei verweist er auf unglückliche Abstimmungen, etwa zur Stromsteuer oder bei der Wahl der Bundesverfassungsrichter, die zwischen Partei, Fraktion und Regierung nicht reibungslos verliefen. Den Unmut in der Bevölkerung bezeichnet er als nachvollziehbar, warnt jedoch vor Lähmung und betont, dass weder Deutschland in einer Staatskrise stecke noch die CDU ihre politische Orientierung verloren habe.
Linnemann fordert nun mehr Tempo und Tatkraft: Deutschland brauche eine „Abschaffungsoffensive für überflüssige Gesetze“ und solle stärker eine Mentalität des „Einfach-mal-Machens“ entwickeln, wie sie in Hessen durch ein Pilotprojekt zur Steuererklärung sichtbar werde. Positiv bewertet er die Außenpolitik von Bundeskanzler Friedrich Merz, der Deutschland schnell wieder international sichtbar gemacht habe. Auch Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) lobt er für sein entschlossenes Vorgehen in der Migrationspolitik.
Carsten Linnemanns Brief ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich, weil er die Stimmungen innerhalb der CDU und zugleich das Verhältnis von Partei, Regierung und Wählerschaft widerspiegelt. Kritisch betrachtet wirkt seine Argumentation jedoch teilweise widersprüchlich und defensiv.
Zunächst fällt auf, dass Linnemann zwar die schlechte Stimmung im Land diagnostiziert, jedoch keine tiefergehende Analyse liefert, warum diese Unzufriedenheit besteht. Er verweist auf technische Fehler bei Abstimmungen und mangelnde Koordination zwischen Partei, Fraktion und Regierung, doch das greift zu kurz. Die Skepsis vieler Bürger speist sich nicht primär aus parlamentarischen Abstimmungspannen, sondern aus handfesten Sorgen über Wirtschaftslage, Migration, Bürokratie und gesellschaftliche Polarisierung. Wenn Linnemann diese Kernprobleme nicht klar adressiert, läuft er Gefahr, am eigentlichen Nerv der Unzufriedenheit vorbeizureden.
Seine Forderung nach einer „Abschaffungsoffensive für überflüssige Gesetze“ ist zwar griffig formuliert und trifft den Nerv des verbreiteten Unmuts über überbordende Bürokratie. Doch bleibt er inhaltlich vage. Weder benennt er konkrete Gesetze, die abgeschafft werden sollen, noch erklärt er, wie die CDU sicherstellen will, dass Bürokratieabbau nicht wieder in kleinteiligen Kommissionen versandet. Gerade von einem Generalsekretär, der den politischen Kurs mitprägen soll, wäre eine präzisere Agenda zu erwarten.
Auch die Betonung der „Einfach-mal-machen-Mentalität“ wirkt populistisch, solange keine konkreten strukturellen Reformen genannt werden. Das Beispiel eines hessischen Finanzamts, das Steuererklärungen übernimmt, ist zwar innovativ, aber kein Beleg für eine bundesweite Trendwende. Damit droht Linnemanns Argumentation eher wie ein Appell zur Stimmungskosmetik, nicht wie ein ernsthafter programmatischer Ansatz.
Lobend äußert sich Linnemann über die Außenpolitik von Friedrich Merz und die Migrationspolitik von Alexander Dobrindt. Hier wird deutlich, dass er das konservative Profil der Union betonen möchte. Allerdings besteht die Gefahr, dass diese positive Hervorhebung zu einer einseitigen Selbstvergewisserung führt, ohne den innerparteilichen Dissens oder die gesellschaftliche Kritik an einer restriktiven Migrationspolitik ernsthaft einzubeziehen. So stärkt er die Geschlossenheit der Parteibasis, riskiert aber eine Entfremdung gegenüber breiteren Wählerschichten, die differenziertere Antworten erwarten.
Linnemanns Brief zeigt mehr ein Bemühen, die Parteibasis zu beruhigen, als den Willen, grundlegende politische Strategien zu überdenken. Seine Rhetorik ist energisch, aber eher reparaturorientiert als reformorientiert. Die CDU wirkt damit weiterhin defensiv: Sie reagiert auf Stimmungen, statt selbst die politische Agenda klar zu bestimmen.
3. Friedrich Merz
Am Montag wird Wolodymyr Selenskyj in Washington erneut auf Donald Trump treffen – ein Treffen, das weit über die Frage eines möglichen Waffenstillstands hinausweist. Begleitet wird der ukrainische Präsident von einer bemerkenswerten europäischen Phalanx: Außen-Kanzler Friedrich Merz, Emmanuel Macron, Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Mark Rutte reisen mit, um Geschlossenheit zu demonstrieren. Doch hinter dieser demonstrativen Einheit lauern erhebliche Spannungen.
Während Selenskyj auf einer Waffenruhe beharrt, um den Druck der russischen Waffen aus den Verhandlungen zu nehmen, drängt Trump auf schnelle direkte Gespräche, notfalls auch auf Kosten ukrainischer Positionen. Dass Merz persönlich an der Seite Selenskyjs auftritt, ist ein starkes Signal: Deutschland – lange Zeit zögerlich in Fragen harter Sicherheitspolitik – versucht nun, sich als Garant europäischer Handlungsfähigkeit zu präsentieren. Doch ob diese Rolle mehr ist als symbolisch, bleibt abzuwarten. Denn die europäische Forderung nach Sicherheitsgarantien „nach NATO-Art“ steht in einem fundamentalen Widerspruch zu Putins Bedingung, die Ukraine dürfe niemals dem Bündnis beitreten.
Die Frage ist daher, ob Merz und die europäischen Partner Trump tatsächlich einhegen können – oder ob sie am Ende nur Kulisse für eine amerikanisch-russische Verständigung bilden, die Europas Interessen marginalisiert. Gerade die deutsche Politik hat hier eine heikle Gratwanderung zu vollziehen: Einerseits will sie sich nicht der Appeasement-Logik hingeben, die Putin ermutigen würde; andererseits ist sie auf die US-Garantie angewiesen, ohne die die europäische Sicherheitsarchitektur zerbrechlich wirkt.
So steht das Treffen weniger für einen Hoffnungsschimmer als für eine geopolitische Zerreißprobe. Die Ukraine kämpft ums Überleben, Trump um seinen außenpolitischen Triumph, Putin um territoriale Beute – und Europa darum, nicht wieder nur Statist im eigenen sicherheitspolitischen Drama zu sein.