Der Aktienmarkt gilt gemeinhin als sensibler Seismograph wirtschaftlicher Entwicklungen, als rationaler Bewertungsmechanismus künftiger Unternehmensgewinne – und zugleich als Arena für Spekulation, Emotion und Herdentrieb. In dieser Gemengelage aus ökonomischer Rationalität und menschlicher Irrationalität ist die Versuchung groß, statistische Muster überzubewerten und Korrelationen als kausale Gesetzmäßigkeiten zu deuten. Doch gerade am Kapitalmarkt erweist sich diese Verwechslung nicht nur als theoretischer Fehler, sondern mitunter als teure Illusion.
1. Korrelationen am Finanzmarkt: ein zweischneidiges Schwert
Der moderne Finanzmarkt ist datengetrieben. Ob Charttechniker, quantitative Analysten oder algorithmische Händler – sie alle suchen nach wiederkehrenden Mustern, Zusammenhängen zwischen Kursentwicklungen, makroökonomischen Indikatoren, Unternehmenskennzahlen oder Sentiment-Indikatoren. Dass dabei unzählige Korrelationen zutage treten, ist kein Wunder. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei zehntausenden Datenpunkten auffällige Muster zeigen, ist hoch – doch diese statistischen Zusammenhänge sind oft rein zufällig, also ohne jede kausale Substanz.
Ein klassisches Beispiel: In manchen Jahren zeigte sich eine hohe Korrelation zwischen dem Butterkonsum in Bangladesch und der Entwicklung des S&P 500 – ein augenfälliges, aber vollständig sinnfreies Ergebnis. Die scheinbare Beziehung resultiert nicht aus ökonomischer Logik, sondern aus der Vielzahl möglicher Kombinationen. Solche Scheinkorrelationen sind in der quantitativen Finanzanalyse Legion – sie werden gerne als „Spurious Correlations“ bezeichnet.
2. Die Illusion der Gesetzmäßigkeit – Narrative als Ersatzkausalität
Gerade in medialen Börsenkommentaren findet man häufig Versuche, nachträglich rationale Erklärungen für Kursbewegungen zu liefern. Wenn der DAX nach einer Zinssenkung steigt, heißt es, die Märkte hätten „positiv auf die expansive Geldpolitik reagiert“. Fällt er hingegen, war „die Zinssenkung wohl bereits eingepreist“. Diese rückwirkende Rationalisierung suggeriert Kausalität, wo es in Wirklichkeit allenfalls eine Korrelation oder eine zufällige Parallelität gibt.
Dieses Phänomen ist Ausdruck eines tief sitzenden menschlichen Bedürfnisses: Wir wollen Ordnung in chaotische Prozesse bringen, dem Zufall Sinn abringen. Besonders in Krisenzeiten sucht der Markt – und mit ihm die Öffentlichkeit – nach kausalen Erzählungen, die Orientierung bieten. Doch der Aktienmarkt ist kein mechanisches System, sondern ein soziales Aggregat individueller Erwartungen, Stimmungen und Strategien. Kausalität ist hier selten monokausal, fast immer multikausal – und oft retrospektiv kaum mehr rekonstruierbar.
3. Quantitative Modelle: Zwischen Wissenschaftlichkeit und Selbsttäuschung
Auch in der Welt der quantitativen Finanzmodelle – von der Portfoliotheorie bis zur Optionsbewertung – spielt die Unterscheidung zwischen Korrelation und Kausalität eine zentrale Rolle. Das Capital Asset Pricing Model (CAPM) etwa basiert auf der Annahme, dass erwartete Renditen linear mit dem Marktrisiko (Beta) korrelieren. Doch diese Modellannahme ist keine Kausalbeziehung, sondern eine idealisierte Beschreibung. In der Praxis zeigen sich regelmäßig Anomalien (z. B. das Size- oder Value-Premium), die diese linearen Zusammenhänge infrage stellen.
Noch deutlicher wird das Problem bei Machine-Learning-Ansätzen im Trading: Diese Algorithmen finden Korrelationen in historischen Daten, können aber kausale Zusammenhänge nur schwer erkennen. Ein Modell, das etwa erkennt, dass Aktien mit hohem Handelsvolumen in der Vergangenheit häufiger gestiegen sind, kann auf einen rein beobachteten Zusammenhang reagieren – ohne zu begreifen, ob das Volumen Ursache oder bloß Begleiterscheinung einer Marktbewegung war. Solche Modelle funktionieren oft so lange, bis sie massenhaft genutzt werden – und dadurch ihre eigene Gültigkeit unterminieren.
4. Politische Eingriffe und Marktreaktionen: Ein Paradebeispiel für Fehlschlüsse
Ein besonders heikles Feld für Korrelation-Kausalitäts-Verwechslungen ist die Bewertung politischer Maßnahmen auf Börsenentwicklungen. Wird etwa nach der Ankündigung einer Steuerreform der Aktienmarkt positiv bewertet, folgt daraus nicht zwingend, dass die Reform wirtschaftlich sinnvoll ist. Der kurzfristige Marktimpuls kann durch Erwartungseffekte, Frontrunning oder Liquiditätsverzerrungen getrieben sein. Die langfristige Wirkung bleibt ungewiss.
Gleiches gilt für geldpolitische Interventionen. Die expansive Geldpolitik der Notenbanken nach der Finanzkrise 2008 wurde vielfach als Ursache für die anhaltende Hausse an den Märkten gewertet. Doch es bleibt offen, ob dies eine direkte Kausalität war oder ob nicht vielmehr mangelnde Anlagealternativen, expansive Fiskalpolitik oder schlichtweg psychologische Faktoren den Aufschwung trugen. Eine Korrelation ist evident – die Kausalität jedoch vielschichtig und strittig.
5. Die konservativ-marktwirtschaftliche Mahnung: Vorsicht vor Pseudowissen
Ein konservativer Zugang zum Kapitalmarkt sollte nicht dem naiven Fortschrittsglauben datengetriebener Totalerklärbarkeit erliegen. Vielmehr ist Skepsis gegenüber vermeintlich „wissenschaftlich“ abgesicherten Handelsstrategien geboten, wenn sie lediglich auf Korrelationen beruhen. Marktliberale Politik lebt vom Vertrauen in die Urteilskraft individueller Akteure – und diese Urteilskraft muss gerade darin bestehen, zwischen Signal und Rauschen, zwischen Scheinkausalität und echter Wirkung zu unterscheiden.
Fazit
Der Aktienmarkt ist kein Labor, sondern ein komplexes, historisch gewachsenes System mit dynamischen Rückkopplungen und reflexiven Erwartungen. Wer Korrelationen als Kausalitäten missversteht, riskiert nicht nur analytische Fehlurteile, sondern auch ökonomischen Schaden. Eine konservative, verantwortungsbewusste Marktanalyse sollte sich deshalb auf belastbare Mechanismen stützen, Komplexität anerkennen und vorschnelle Schlüsse meiden. Denn was statistisch plausibel erscheint, ist nicht zwangsläufig ökonomisch sinnvoll – und was sich in Zahlen ausdrücken lässt, ist nicht automatisch Wahrheit.