Friedrich Merz erklärte auf dem „Tag der Industrie“ des BDI, er sehe „keinen Grund, das zu kritisieren, was Israel vor einer Woche begonnen hat, und auch keinen Grund, das zu kritisieren, was Amerika am letzten Wochenende getan hat“. Er räumte zwar ein, das Vorgehen sei „nicht ohne Risiko“, doch ein Nicht-Handeln sei „keine Option“ gewesen. Damit stellt er sich demonstrativ hinter die militärischen Operationen Israels und der USA gegen den Iran.
Diese Positionierung entspricht einem entschieden sicherheitspolitischen Narrativ: Israel und die Vereinigten Staaten handelten – so Merz’ Subtext – stellvertretend für den „Westen“, um eine atomar bewaffnete Islamische Republik zu verhindern. Indem der Kanzler jedes kritische Korrektiv ausschließt, verzichtet er jedoch auf die für eine liberale Außenpolitik konstitutive Abwägung zwischen Machtpolitik, Völkerrecht und humanitärer Verantwortung. Er vermittelt den Eindruck einer moralisch alternativlosen Lage, obwohl die rechtliche und politische Bewertung der Angriffe weit umstrittener ist.
Völkerrechtlich steht der Einsatz massiver Gewalt gegen iranisches Staatsgebiet im Widerspruch zu Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta, der das Gewaltverbot kodifiziert. Ein Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 greift nur bei einem „bewaffneten Angriff“, nicht bei einer präventiven Unterstellung künftiger Gefahr. Renommierte Völkerrechtler wie Marko Milanović und Kevin Jon Heller werten die israelischen Luftangriffe denn auch als „crime of aggression“; die International Commission of Jurists spricht von einem offenkundigen Verstoß gegen internationales Recht.
Hinzu kommt das humanitäre Schutzregime für Anlagen mit „gefährlichen Kräften“ (Zusatzprotokoll I, Art. 56). Die IAEA warnte den Sicherheitsrat vor einer „schweren Degradation der nuklearen Sicherheit“ in Natanz und Fordo; ein radiologischer Unfall könne zwar bislang ausgeschlossen werden, bleibe aber real. Experten betonen ferner, dass ein Angriff auf Buschehr ein weitaus größeres Bevölkerungsschutzrisiko barg.
Innenpolitisch findet Merz’ Blankokredit durchaus Widerspruch. SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner nennt es „befremdlich“, Israel „Drecksarbeit für uns“ verrichten zu lassen, weil dies impliziere, dass Deutschland ein völkerrechtswidriges Vorgehen billigend in Kauf nehme. Auch Stimmen aus Grünen und Linken kritisieren, der Kanzler spiele zivile Opfer herunter und beschädige die Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik.
Auf internationaler Bühne mahnen UN-Vertreter eine rasche De-Eskalation an. Der stellvertretende UN-Generalsekretär Jenča bezeichnete die US-Schläge als „gefährliche Eskalation“, Generalsekretär Guterres erinnerte die Konfliktparteien an ihre Bindung an das Völkerrecht.
Merz’ Haltung steht damit quer zu der regelbasierten Ordnung, auf die sich Deutschland bei der Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine berief. Wer einerseits kompromisslos den Bruch des Gewaltverbots durch Moskau anprangert, kann andererseits den Bruch desselben Prinzips durch Verbündete nicht einfach ignorieren, ohne in den Augen vieler Staaten – besonders im Globalen Süden – die normative Kohärenz zu verlieren.
Strategisch ist das Risiko erheblich. Der Iran droht mit der Schließung der Straße von Hormus, ein Viertel des Welthandels mit Erdöl stünde zur Disposition. Bereits jetzt verzeichnet Reuters mehrere hundert Tote auf beiden Seiten, und die Gefahr einer regionalen Ausweitung des Krieges ist greifbar.
In der Summe lässt sich Merz’ Stellungnahme als politisch eindeutige, aber völkerrechtlich problematische Loyalitätserklärung deuten. Sie stärkt kurzfristig den Schulterschluss mit Israel und den USA, doch sie unterläuft Deutschlands selbst gesetzten Anspruch auf regelgebundene Außen- und Sicherheitspolitik. Kritische Stimmen warnen, der Kanzler gefährde nicht nur die Vermittlungsrolle Europas im Nahen Osten, sondern setze auch das moralische Kapital aufs Spiel, das Deutschland seit 2022 in der Ukraine-Politik aufgebaut hat.
Ein differenzierterer Ansatz hätte die Legitimitätsfragen nicht ausgeblendet, sondern offen benannt: Gibt es Beweise für eine unmittelbar bevorstehende iranische Attacke? Sind die Militärschläge verhältnismäßig? Welche Mechanismen zur Schadensminimierung für Zivilisten wurden implementiert? Ohne Antworten auf diese Fragen bleibt Merz’ kategorische Zustimmung ein riskanter Präzedenzfall für selektive Rechtsanwendung.
Fazit: Die Erklärung des Kanzlers ist machtpolitisch nachvollziehbar. Wer den Anspruch erhebt, auf dem Fundament des Völkerrechts zu argumentieren, darf nicht aus geopolitischer Loyalität heraus dessen Bruch legitimieren. Eine konsequente deutsche Außenpolitik müsste das Recht verteidigen – auch gegenüber Freunden.