Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni veröffentlichte Eurostat aktuelle Zahlen zu Asylanträgen und temporären Schutzgewährungen in der Europäischen Union. Die Daten zeichnen ein deutliches Bild: Die Zahl der Asylerstanträge ist im Jahr 2024 gegenüber dem Vorjahr um 13,1 % gesunken, ebenso die Zahl der temporären Schutzentscheidungen, die insbesondere ukrainischen Geflüchteten zugutekamen – hier beträgt der Rückgang sogar 26,1 %. Im ersten Quartal 2025 hat sich dieser Trend beschleunigt. Vergleicht man die ersten drei Monate mit dem Vorjahreszeitraum, so ergibt sich ein Rückgang um 23,5 % bei den Asylanträgen und um 30,9 % beim temporären Schutz.
Diese Entwicklung weckt Fragen – sowohl hinsichtlich der Ursachen als auch der politischen Implikationen. Vordergründig mag der Rückgang als Zeichen einer Beruhigung internationaler Krisen interpretiert werden. Doch ein genauer Blick offenbart, dass andere Faktoren eine weit größere Rolle spielen dürften: Der Ausbau europäischer Grenzschutzmaßnahmen, die Externalisierung von Asylverfahren und die zunehmend restriktive Migrationspolitik vieler Mitgliedstaaten führen offensichtlich zu einer Reduktion der Zugänge – nicht zwingend jedoch zu einer Reduktion der Fluchtursachen selbst.
Auffällig ist zudem die ungleiche Verteilung innerhalb der EU. Besonders hohe Quoten an Asylanträgen pro 1.000 Einwohner verzeichnen 2024 Zypern (7,2), Griechenland (6,6), Irland und Spanien (je 3,4). Im Bereich des temporären Schutzes dominieren Tschechien (7,1), die Slowakei (4,8) und Polen (4,5). Diese Zahlen illustrieren ein fortbestehendes Gefälle zwischen den Mitgliedstaaten, das auf fehlende Harmonisierung und Solidarität im europäischen Asylsystem verweist.
Noch aufschlussreicher ist ein Blick auf die Anerkennungsquoten der Asylsuchenden. Während syrische Antragsteller mit 91,5 % fast durchgängig Schutz erhielten, lag die Quote für Kolumbianer bei lediglich 7,0 %. Unterdurchschnittlich schnitten auch Antragsteller aus Georgien, Marokko, Ägypten, Bangladesch und der Türkei ab. Die Spannweite lässt auf eine erhebliche Diskrepanz bei der Bewertung von Asylanliegen schließen, die mit objektiven Kriterien allein kaum zu erklären ist. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass politische Erwägungen und außenpolitische Interessen zunehmend in die Bewertung individueller Schutzbedürfnisse einfließen.
Die Daten, die Eurostat anlässlich des Weltflüchtlingstags veröffentlicht, bieten damit nicht nur eine statistische Momentaufnahme. Sie werfen grundsätzliche Fragen zur aktuellen Richtung europäischer Migrationspolitik auf: Ist der Rückgang von Asylanträgen tatsächlich Ausdruck eines Rückgangs globaler Krisen – oder vielmehr Resultat eines systematischen politischen Willens zur Abschottung? Und wie steht es um die rechtsstaatliche Konsistenz und moralische Integrität eines europäischen Asylsystems, das Schutzsuchende in zunehmend differenzierter Weise bewertet?
Der Rückgang der Zahlen sollte nicht als Entwarnung missverstanden werden. Vielmehr ist er Anlass zu kritischer Reflexion über die Mechanismen, durch die Europas Außengrenzen verwaltet – und Menschenrechte gewichtet – werden.