Ein „Stealth Bear Market“ (also: „verdeckter Bärenmarkt“) beschreibt ein Marktumfeld, in dem viele Einzelwerte, Sektoren oder Anlageklassen deutliche Kursverluste verzeichnen, während wichtige Leitindizes wie der S&P 500, der DAX oder der NASDAQ scheinbar stabil bleiben oder sogar steigen. Diese Art von Bärenmarkt geschieht also „unter der Oberfläche“, weshalb der Begriff „stealth“ (heimlich, verdeckt) verwendet wird.
Merkmale eines Stealth-Bärenmarkts
- Divergenz zwischen Index und Breite des Marktes
Während große Indizes durch wenige Schwergewichte wie Apple, Microsoft, Nvidia oder andere Megacaps gestützt werden, erleben breite Marktsegmente, insbesondere Nebenwerte, Wachstumsaktien ohne Gewinn oder bestimmte Sektoren, teils dramatische Rückgänge von 20 % bis über 50 %. Der Eindruck eines insgesamt gesunden Marktes entsteht somit künstlich. - Sinkende Marktbreite
Die Zahl der Aktien, die neue Hochs erreichen oder überhaupt steigen, nimmt ab. Technische Indikatoren wie der Advance-Decline Line oder der McClellan Oscillator zeigen in solchen Phasen klare Schwäche – selbst wenn die Indizes neue Rekorde markieren. - Psychologischer Effekt
Anleger, insbesondere Privatanleger, werden in die Irre geführt. Der Eindruck, der Markt sei „robust“, täuscht – viele Portfolios verlieren dennoch erheblich an Wert, weil sie nicht ausschließlich in die dominierenden Index-Schwergewichte investiert sind. - Sektorrotation und Liquiditätsverzerrung
Kapital konzentriert sich auf wenige als sicher empfundene Titel, was zu einer übermäßigen Bewertung dieser Aktien führen kann (sogenannte „Crowding Effects“). Gleichzeitig verlieren riskantere Assets, Small Caps oder zyklische Branchen an Attraktivität.
Ursachen und Hintergründe
Ein Stealth-Bärenmarkt entsteht oft in Phasen geldpolitischer Straffung, wirtschaftlicher Unsicherheit oder nach extremen Haussephasen, in denen spekulative Übertreibungen zurückgebaut werden. Auch strukturelle Marktverzerrungen durch ETFs oder passive Anlageinstrumente können diesen Effekt verstärken, da sie Mittel bevorzugt in kapitalisierungsstarke Aktien leiten.
Ein prägnantes Beispiel war die Phase zwischen 2021 und 2022, als viele Technologie- und Wachstumsaktien massive Verluste erlitten – teilweise bis zu 70 % –, während der S&P 500 durch einige große Titel wie Apple und Microsoft relativ stabil blieb. Viele Anleger realisierten die Schwere des Bärenmarktes erst spät, da der breite Index diese Verluste maskierte.
Kritische Einordnung
Ein Stealth-Bärenmarkt ist besonders tückisch, weil er das Marktgefühl verzerrt. Das birgt mehrere Gefahren:
- Anleger unterschätzen die Risiken und setzen auf Rückkäufe vermeintlich „günstiger“ Aktien.
- Vermögensverwalter stehen unter Druck, benchmarknah zu agieren, obwohl unterliegende Marktsegmente bereits stark korrigiert haben.
- Die Bewertung großer Indextitel kann sich zu einer Blase aufbauen, weil die Marktmechanik passiver Investments diese überproportional stützt.
Fazit
Ein Stealth-Bärenmarkt ist kein technischer Bärenmarkt (also kein Rückgang von mindestens 20 % im Index), sondern ein strukturell gefährlicher Marktmechanismus, bei dem die echte Marktschwäche durch die Fokussierung auf wenige starke Titel verborgen bleibt. Für informierte Anleger bedeutet das: Indizes allein sind kein verlässlicher Gradmesser für den Gesundheitszustand des gesamten Aktienmarktes. Eine differenzierte Analyse der Marktbreite, Sektorentwicklung und Bewertung ist essenziell, um den wahren Zustand zu erkennen.