Der Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis in Berlin war weit mehr als ein diplomatischer Höflichkeitsakt. Es war ein Treffen mit Symbolkraft – und mit deutlichen Botschaften. Eine davon kam von Bundeskanzler Friedrich Merz selbst: Deutschland könne sich ein Beispiel an Griechenland nehmen. Insbesondere, so Merz, im Hinblick auf die Reformbereitschaft und Arbeitszeitflexibilität.
Im Zentrum seiner Anerkennung stand eine Maßnahme, die in der deutschen Debatte für Stirnrunzeln sorgt: die Rückkehr zur Sechstagewoche in Griechenland. Eine ungenaue Darstellung, wie Mitsotakis prompt klarstellte: Es handelt sich in Wahrheit um eine gesetzlich geschützte Fünftagewoche mit erhöhter Flexibilität – eine Lösung, die sowohl die Interessen der Arbeitgeber als auch die Rechte der Arbeitnehmer berücksichtigt. In einer Zeit, in der Deutschland über das Für und Wider einer Viertagewoche und mehr Freizeit debattiert, zeigt sich Athen pragmatisch und wirtschaftsorientiert: Arbeit, wo sie nötig ist – mit sozialem Augenmaß.
Diese Reform ist jedoch nur die Spitze eines tiefgreifenden Wandels, den Griechenland in den vergangenen Jahren durchlaufen hat. Unter dem Druck der internationalen Gläubiger und im Gegenzug für milliardenschwere Rettungspakete musste das Land seine gesamte wirtschaftliche und soziale Struktur umbauen – eine Rosskur, die in Deutschland kaum vorstellbar wäre.
Ein Land im Reformmodus: Was Griechenland geleistet hat
Nach der Finanzkrise stand Griechenland am wirtschaftlichen Abgrund. Heute steht es besser da, als viele es je für möglich hielten – dank eines Reformprogramms, das in Tiefe und Konsequenz europaweit seinesgleichen sucht:
Haushaltsdisziplin: Durch rigorose Sparmaßnahmen – von Rentenkürzungen über Steuererhöhungen bis hin zu Personalabbau im öffentlichen Dienst – gelang es, die Haushaltslage zu stabilisieren. Die griechische Regierung erwirtschaftet mittlerweile Primärüberschüsse, und die Schuldenquote sinkt stetig.
Steuersystem: Griechenland hat die Steuererhebung digitalisiert, die Steuerverwaltung effizienter gemacht und den Kampf gegen Steuerhinterziehung intensiviert – ein Feld, auf dem Deutschland bis heute Defizite zeigt.
Arbeitsmarkt: Kündigungsschutz und Tarifverträge wurden flexibilisiert, die Jobvermittlung modernisiert, Weiterbildung gefördert. Schwarzarbeit wird konsequenter verfolgt. Der Effekt: Die Arbeitslosenquote ist stark gesunken.
Wirtschaftsstruktur: Die Öffnung geschützter Märkte, z. B. im Transport- oder Gesundheitssektor, und massive Privatisierungen haben Investitionen mobilisiert. Gleichzeitig wurde das Genehmigungswesen entschlackt – für Unternehmen und Gründer ein längst überfälliger Schritt.
Verwaltung und Justiz: Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung wurde konsequent vorangetrieben, Verfahren wurden beschleunigt, Korruptionsbekämpfung institutionalisiert. In puncto E-Government überholt Griechenland inzwischen manch besser bewertetes EU-Land.
Ein Vorbild trotz harter Jahre
All diese Maßnahmen sind nicht spurlos an der Bevölkerung vorbeigegangen. Die Härte der Reformen hat viele getroffen, teils unter großen sozialen Opfern. Doch sie haben gewirkt. Die griechische Wirtschaft gehört heute zu den wachstumsstärksten in der EU. Die Exporte steigen, das Land erhält wieder positive Investitionsratings, und deutsche Unternehmen investieren zunehmend – vom Tourismus über Infrastruktur bis hin zu grünen Technologien.
Was Merz daraus lernen kann
Friedrich Merz anerkennt diese Entwicklung – und das zu Recht. In Zeiten, in denen Deutschland angesichts altersschwacher Infrastruktur, wachsender Bürokratie, stagnierender Digitalisierung und einer lähmenden Debatte über Arbeitszeitflexibilität zunehmend an Innovationskraft verliert, lohnt der Blick nach Süden. Dort zeigt sich, was mit politischem Willen, Reformklarheit und gesellschaftlichem Realismus möglich ist.
Der Mut zu unpopulären Entscheidungen, die Bereitschaft, überholte Strukturen aufzubrechen, und die Fähigkeit, sozialen Ausgleich mit wirtschaftlicher Vernunft zu kombinieren – das ist es, was Mitsotakis seinem Land abverlangt hat. Deutschland hingegen wirkt oft wie ein Staat im Wartesaal: viele Analysen, wenig Umsetzung.
Fazit: Athen zeigt, wie es geht
Griechenland hat sich neu erfunden – nicht aus Überzeugung allein, sondern aus Not. Deutschland hingegen hat noch die Wahl. Wenn Merz also Griechenland lobt, sollte er auch den Mut aufbringen, diesem Vorbild zu folgen. Nicht, um zu kopieren, sondern um das Prinzip zu übernehmen: Reformen müssen konsequent, schnell und zielgerichtet sein. Denn wie Mitsotakis sagte: „Solche Reformen muss man schnell machen und am Anfang machen.“ Ein Satz, den Merz nicht nur zitieren, sondern leben sollte.