Wachstum ist ein universelles Naturprinzip: Lebewesen wachsen, bis sie ihre natürliche Grenze erreichen – ein Baum, ein Goldhamster, ein Mensch. Doch anders als biologische Systeme kennt die Weltwirtschaft bislang keine Grenzen. Sie wächst unaufhörlich, genauso wie Müllberge, Meeresspiegel und Konsumgüterbestände. Dabei wird zunehmend sichtbar: Mehr Wirtschaftswachstum bedeutet nicht automatisch mehr menschliches Wohlergehen. Seit den 1980er-Jahren stagnieren Lebensqualität und soziale Gerechtigkeit in vielen Regionen trotz steigender Wirtschaftsleistung – oder verschlechtern sich sogar.
Die Wurzeln des Wirtschaftswachstums liegen in der Industrialisierung, befeuert durch den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, billige fossile Energie und Massenproduktion im fordistischen Stil. Diese Faktoren sorgten für einen enormen Produktivitätsschub, verbunden mit einem bislang beispiellosen Ressourcenverbrauch. Parallel dazu explodierten ökologische Belastungen: Treibhausgasemissionen, Flächenversiegelung und Verlust der Artenvielfalt nehmen exponentiell zu. Die Erde, ein fragiler Organismus, stößt an ihre Belastungsgrenzen.
Trotzdem bleibt Wachstum bis heute politisches und wirtschaftliches Leitbild, nicht zuletzt wegen seiner Bedeutung für Steuereinnahmen, Sozialsysteme und Beschäftigung. Als Maßstab dafür dient das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – eine Kennziffer, die jedoch erhebliche Schwächen hat: Es misst lediglich die Summe aller gehandelten Güter und Dienstleistungen, blendet aber unbezahlte Arbeit, ökologische Schäden und Einkommensverteilungen aus. So kann selbst eine Umweltkatastrophe statistisch das BIP steigen lassen. Damit ersetzt das BIP echte Lebensqualität durch rein ökonomische Indikatoren – ein fundamentaler Kategorienfehler.
Die Vorstellung, ökologisch nachhaltiges „grünes Wachstum“ könne dieses Dilemma lösen, wird von vielen Experten inzwischen als Illusion kritisiert. Trotz technischer Effizienzgewinne steigt der Ressourcenverbrauch weiter – absolute Entkopplung wurde bislang nirgends erreicht. Der sogenannte Rebound-Effekt, bei dem Effizienzgewinne durch Mehrkonsum zunichtegemacht werden, verhindert echte Fortschritte. Selbst die Förderung erneuerbarer Energien wie Windkraft geht häufig mit neuer Ressourcenzerstörung einher, etwa bei der Abholzung von Tropenwäldern für Balsaholz.
Dass grünes Wachstum bislang nicht gelingt, ist keine theoretische Spekulation, sondern empirisch gut belegt. Dennoch klammern sich Wirtschaft und Politik vielfach an diese Hoffnung, was auch einer tiefen strukturellen Abhängigkeit von Wachstum geschuldet ist: Arbeitsplätze, Sozialsysteme und politische Stabilität scheinen auf ein ständiges Mehr angewiesen.
Eine Alternative wäre eine wachstumsunabhängige Wirtschaft. Vorschläge dafür existieren längst: Eine Reform des Steuersystems könnte Arbeit entlasten und stattdessen Kapital und Umweltverbrauch stärker besteuern. Unternehmen könnten in gemeinwohlorientierte Strukturen überführt werden. Initiativen wie die Reparaturpflicht und die Förderung von Kreislaufwirtschaft zeigen erste Ansätze. Eine Vier-Tage-Woche und neue Wohlstandsmessgrößen – wie etwa das Bruttonationalglück – könnten zudem individuelle Lebensqualität steigern und zugleich ökologische Belastungen senken.
Doch zentrale Herausforderungen bleiben ungelöst: Insbesondere im globalen Süden bedarf es noch eines Aufholprozesses, um Armut zu überwinden. Hier ist gezieltes Wachstum notwendig – allerdings auf Basis nachhaltiger, lokaler Wirtschaftsmodelle, wie ökologische Landwirtschaft, nachhaltiger Tourismus oder dezentrale Energieversorgung.
Die große Frage lautet daher nicht, ob Wirtschaft wachsen muss, sondern was wachsen soll: Wirtschaftssektoren, die Umweltschäden und Ungleichheit verursachen, müssen schrumpfen. Bereiche, die Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit und ökologische Stabilität fördern, sollten wachsen dürfen.
Der Club of Rome warnte bereits vor 50 Jahren vor den „Grenzen des Wachstums“. Heute, im Angesicht massiver planetarer Krisen, zeigt sich: Diese Warnung war keine Alarmmache, sondern eine präzise Prognose. Wenn die Menschheit nicht aktiv und kontrolliert umsteuert, wird die Natur die Anpassung erzwingen – auf schmerzliche Weise.
Am Ende steht eine fundamentale Entscheidung: Geht es uns bei Wirtschaft wirklich nur um Zahlen – oder um das Wohlergehen der Menschen?