Die jüngste Schwäche der Softwarebranche bietet ein Lehrstück über die Dynamik kapitalistischer Märkte, in denen technologische Innovation nicht nur Chancen eröffnet, sondern auch Geschäftsmodelle bedroht. Im Zentrum steht die Künstliche Intelligenz – genauer: „agentische KI“, Systeme, die eigenständig Code schreiben und damit klassische Softwarelösungen überflüssig machen könnten.
Noch vor wenigen Jahren galten Abo-Modelle im Softwarebereich, bekannt als „Software as a Service“ (SaaS), als Synonym für sichere und stetig steigende Einnahmen. Heute drohen sie, zum Opfer ihrer eigenen Erfolgslogik zu werden. Unternehmen wie Salesforce, Adobe oder Atlassian, deren Aktienkurse seit Jahresbeginn zweistellig eingebrochen sind, illustrieren diese Entwicklung eindrücklich. Während der S&P 500 und der Nasdaq zulegen, taumelt der Softwaresektor – ein Paradoxon, wenn man bedenkt, dass gerade die Tech-Branche Motor der KI-Revolution ist.
In Analysen wird von nichts Geringerem als einem Paradigmenwechsel gesprochen: „AI is eating software“, so die verkürzte Formel. Tatsächlich erlaubt KI es Start-ups ebenso wie Großkonzernen, Anwendungen intern zu entwickeln und teure Lizenzen zu sparen. Das gefährdet die „Seat Count“-Logik, also die Zahl der verkauften Nutzersitze – das Rückgrat der SaaS-Modelle. Wer weniger externe Software einkauft, entzieht den bisherigen Marktführern die Grundlage.
Doch ist das wirklich das Ende? Hier lohnt die Differenzierung. Manche Experten zeichnen ein zu düsteres Bild. KI kann kurzfristig die Margen drücken, langfristig aber auch neue Wachstumsfelder schaffen. Salesforce etwa experimentiert mit „Agentforce“, Atlassian mit „Rovo“ – beide Versuche, die disruptive Kraft der KI zu integrieren, statt sich von ihr verdrängen zu lassen. Historisch hat sich gezeigt, dass technologische Sprünge selten ganze Industrien vernichten, sondern sie transformieren.
Die Börse freilich straft Unsicherheit sofort ab. Anleger fliehen, sobald die Story brüchig wird – und nichts anderes geschieht derzeit bei Softwarewerten. Ob wir den Beginn einer dauerhaften Erosion oder nur eine heftige Anpassungsphase erleben, bleibt offen. Klar ist jedoch: Die Branche muss ihre Rolle in der Wertschöpfung neu definieren. KI erweist sich nicht als Ergänzung, sondern als Katalysator für einen tiefgreifenden Strukturwandel.
Der eigentliche Prüfstein wird sein, ob Unternehmen die Chancen der KI rechtzeitig in tragfähige Geschäftsmodelle übersetzen. Gelingt dies, könnte sich der heutige Pessimismus als Übertreibung erweisen – und Software tatsächlich eine Renaissance erleben, nicht ihren Abgesang.