Ab dem 2. Mai 2025 wird der Handel mit Schweizer Aktien an deutschen und europäischen Börsenplätzen wieder regulär möglich. Damit endet ein rund sechsjähriges Handelsverbot, das im Sommer 2019 durch ein politisches Kräftemessen zwischen der EU-Kommission und der Schweiz ausgelöst wurde. Damals entzog Brüssel der Schweizer Börse die Anerkennung der „regulatorischen Gleichwertigkeit“, woraufhin der Schweizer Bundesrat ein Börsenverbot für Schweizer Aktien in der EU erließ. Anleger konnten seither nur über Umwege – etwa über ADRs (American Depositary Receipts), ETFs oder direkt an der Schweizer Börse – investieren.
Die Aufhebung des Verbots zum 1. Mai 2025 öffnet nun wieder den Zugang zu einem der spannendsten und gleichzeitig unterschätzten Märkte Europas. Die Redaktion kündigt an, im Rahmen des Themas der Woche einen Überblick über die vielversprechendsten Schweizer Aktien zu geben.
Der Schweizer Aktienmarkt im Überblick:
- Marktkapitalisierung: ca. 1,9 Billionen Euro, das sind rund 500 Milliarden Euro weniger als der deutsche Markt.
- Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ist der Schweizer Markt jedoch viermal so groß wie der deutsche.
- Große Unternehmen:
- Nestlé
- Roche
- Novartis
- Richemont
- Zurich Insurance Group
Doch der Markt hat mehr zu bieten als diese bekannten Dividendenwerte, wie Christian Röhle von Scalable Capital betont. Es gebe zahlreiche Spezialwerte und Weltmarktführer, etwa:
- Sonova (Hörgeräte)
- Straumann (Dentale Technik)
- Geberit (Sanitärtechnik)
- LEM Holding (Sensorlösungen)
- Sika (Bauchemie)
- SeCore (Dosiertechnologie)
- Molecular Partners (Biotechnologie)
Beliebteste Schweizer Aktien – laut Analystenbewertungen (mind. 3 Ratings):
Unternehmen | Branche | Kaufempfehlungen | Kurspotenzial |
---|---|---|---|
Molecular Partners | Biopharma (Krebstherapien) | 100 % | +124 % |
BB Biotech | Biotechnologie-Holding | 100 % | +106 % |
LEM Holding | Elektronik & Sensorik | 100 % | +90 % |
Cosmo Pharmaceuticals | Pharma (Gastro/Dermatologie) | 100 % | +80 % |
Rieter Holding | Maschinenbau (Textiltechnik) | – | +75 % |
Die „verhassten“ Aktien – 0 % Kaufempfehlungen (≥ 3 Ratings):
- Stadler Rail – Schienenfahrzeuge
- Bystronic – Blechbearbeitung
- Allreal Holding – Immobilien
- Sempra Money Bank – Finanzlösungen
- Meyer Burger – Solarindustrie (hochverschuldet)
- Kudelski Group – IoT & Security (trotz Hightech wie WEF-Badges)
Kritische Einordnung:
Die Wiederöffnung des Marktes ist ein finanzpolitischer Meilenstein, aber auch ein Signal für die Wiederannäherung zwischen Brüssel und Bern. Ökonomisch erschließt sich Anlegern ein breit diversifiziertes und innovationsgetriebenes Anlagespektrum, das durch starke Dividendentitel, aber auch durch eine Vielzahl an Nischen-Champions überzeugt.
Zugleich offenbart die Analystenbewertung auch eine gewisse Diskrepanz: Während einige kleine bis mittelgroße Unternehmen wie Molecular Partners oder Cosmo Pharmaceuticals extrem hohe Kurspotenziale aufweisen, fallen etablierte Namen wie Stadler Rail durch. Das zeigt: Der Markt ist nicht nur wieder offen, sondern auch selektiv zu genießen. Analystendeckung ist zudem oft dünn, was die Zuverlässigkeit mancher Empfehlungen relativiert.
Fazit:
Mit dem Wegfall des Handelsverbots erleben Anleger eine substanzielle Erweiterung ihres Anlageuniversums. Die Schweiz bleibt dabei, was sie schon immer war: klein, aber oho – mit einem Markt, der viel mehr bietet als Schokolade, Banken und Nestlé.
*Was bedeutet „Börsenäquivalenz“?
Die Börsenäquivalenz (engl. equivalence of stock exchanges) ist ein regulatorisches Instrument, das im Rahmen der europäischen Finanzmarktregulierung – insbesondere durch die MiFID II/MiFIR-Regulierung – eingeführt wurde.
Ziel ist es, sicherzustellen, dass der Handel mit Finanzinstrumenten nur an Börsen stattfindet, die einem gleichwertigen Aufsichtsstandard wie in der EU unterliegen. Dies betrifft in erster Linie den Schutz von Anlegern, die Markttransparenz und die Einhaltung von Marktverhaltensregeln.
Rechtsgrundlage:
- Artikel 23 der Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR)
- Diese Vorschrift verpflichtet EU-Wertpapierfirmen, Aktien von in der EU zugelassenen Emittenten nur an regulierten Märkten mit gleichwertiger Regulierung zu handeln – es sei denn, es liegt eine Äquivalenzanerkennung durch die EU-Kommission vor.
🇪🇺 vs.🇨🇭 Die Schweiz und das Äquivalenzverfahren
Die Schweiz ist kein EU-Mitglied, ihr Börsenplatz unterliegt daher nicht automatisch der Anerkennung.
Chronologie des Konflikts:
- Vor 2019: Die EU hatte die Schweizer Börse temporär als gleichwertig anerkannt.
- Juni 2019: Die EU-Kommission verlängerte die Äquivalenz nicht, da die politischen Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz stagnierten.
- Reaktion der Schweiz: Der Bundesrat erklärte daraufhin eine Schutzmaßnahme, die es Börsen in der EU untersagte, mit Schweizer Aktien zu handeln – eine Art Revanchemaßnahme, aber auch ein Schutzinstrument, um Liquidität in Zürich zu halten.
Diese Maßnahme wurde in Art. 1a der Schweizer Börsenverordnung (BEHV) verankert.
Bedeutung der Äquivalenz
Für die EU:
- Sie sichert die Kontrolle über den Finanzplatz, indem sie Standards für Drittstaaten definiert.
- Sie ist aber auch ein politisches Druckmittel, um Länder außerhalb der EU (wie die Schweiz oder das Vereinigte Königreich) zu regulatorischen Zugeständnissen zu bewegen.
Für Drittstaaten:
- Die Äquivalenz ist keine automatische Anerkennung, sondern ein einseitiger, politisch gefärbter Verwaltungsakt.
- Sie ist widerrufbar und damit unsicher für Finanzplätze, die auf den Zugang zum EU-Raum angewiesen sind.
Die aktuelle Wende (2025)
Im Jahr 2025 wird diese Äquivalenz nun wiederhergestellt, was signalisiert, dass:
- Die politischen Spannungen zwischen Brüssel und Bern abgenommen haben, zumindest im Bereich des Kapitalmarkts.
- Die EU bereit ist, wieder Marktvertrauen aufzubauen, ohne auf das ungelöste institutionelle Rahmenabkommen zu warten.
Die Wiederanerkennung der Schweizer Börse ist also ein politisch motivierter, aber wirtschaftlich rationaler Schritt. Sie stärkt nicht nur das Vertrauen zwischen den Handelspartnern, sondern auch die Kapitalmarkteffizienz im gesamten europäischen Raum.
Kritische Bewertung
Pro:
- Stärkung des Binnenmarktes durch Integration eines funktionierenden Nachbarmarkts
- Förderung grenzüberschreitender Investitionen
- Entlastung für EU-Investoren, die wieder ohne Umwege in Schweizer Aktien investieren können
Contra:
- Die politische Instrumentalisierung der Äquivalenzfrage bleibt ein strukturelles Risiko für Drittstaaten.
- Die Schweiz hat de facto keinen Rechtsanspruch auf Börsenäquivalenz – sie ist vom guten Willen der EU abhängig.
- Dies schafft Rechtsunsicherheit für Unternehmen und Anleger bei zukünftigen Konflikten (z. B. mit dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit).
Fazit
Die Börsenäquivalenz ist kein rein technischer Mechanismus, sondern ein machtpolitisches Instrument im europäischen Finanzbinnenmarkt. Der Fall Schweiz zeigt, wie eng regulatorische Fragen mit geopolitischen Interessen verflochten sind – und dass Börsenpolitik heute Außenpolitik mit anderen Mitteln ist.