Da schau her. Der türkische Präsident schwingt die große Moralkeule. Ein Haftbefehl gegen den israelischen Premier Netanyahu. Wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das klingt erst einmal stark. Es klingt nach Gerechtigkeit. Nach einem Mann, der nicht tatenlos zusieht. Er stellt sich auf die Seite der Unterdrückten. Er klagt die Mächtigen an. Ein mutiger Schritt, könnte man meinen.
Doch Moment mal. Bevor wir in den Applaus einstimmen, sollten wir vielleicht mal kurz innehalten. Wir sollten uns fragen, wer hier eigentlich den Richter spielt. Es ist Recep Tayyip Erdoğan. Derselbe Mann, der sein eigenes Land mit eiserner Faust regiert. Derselbe Mann, dessen Gefängnisse voll sind mit Menschen, die ihm nicht passen. Journalisten sitzen dort ein. Politiker der Opposition ebenfalls. Akademiker, Anwälte und einfache Bürger auch. Ihr Verbrechen war oft nur ein kritisches Wort. Ein falscher Satz in den sozialen Medien genügt.
Erdoğan wirft Netanyahu einen Völkermord in Gaza vor. Das ist ein schwerer Vorwurf. Aber schauen wir doch mal nach Nordsyrien. Dort lässt Erdoğan seit Jahren die kurdische Bevölkerung bombardieren. Ganze Städte wurden angegriffen. Menschen mussten fliehen. Zivile Infrastruktur wurde zerstört. Er nennt es Terrorbekämpfung. Doch für die Menschen vor Ort ist es einfach nur Krieg. Ein Krieg gegen ihr Leben und ihre Heimat. Ist das keine Verletzung der Menschlichkeit? Zählt das Leid dieser Menschen weniger?
Der Präsident in Ankara inszeniert sich als Schutzpatron der Palästinenser. Das kommt gut an in der islamischen Welt. Es sichert ihm Einfluss und Ansehen. Gleichzeitig lässt er im eigenen Land die gewählten Bürgermeister kurdischer Städte absetzen. Er ersetzt sie durch treue Parteisoldaten. Er verbietet Parteien, die ihm nicht gefallen. Er unterdrückt die kurdische Sprache und Kultur. Wo bleibt da der Schutz für die Minderheiten im eigenen Land?
Es ist ein altbekanntes Spiel. Wer selbst im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Erdoğans Aktion ist kein ehrlicher Kampf für Gerechtigkeit. Es ist ein durchschaubares politisches Manöver. Ein lauter PR Gag. Er will von seinen eigenen Problemen ablenken. Er will sich als starker Führer präsentieren, der es mit Israel aufnimmt. Er nutzt das Leid der Menschen in Gaza für sein eigenes Machtspiel. Das ist zynisch. Es ist heuchlerisch.
Niemand sollte die Augen vor dem verschließen, was in Gaza passiert. Das Leid der Zivilbevölkerung ist unermesslich. Doch der Ruf nach Gerechtigkeit verliert jede Glaubwürdigkeit, wenn er von einem Autokraten kommt. Einem Mann, der selbst die Grundrechte mit Füßen tritt. Einem Mann, für den Menschenrechte nur dann gelten, wenn es ihm politisch nützt.
Diese Anklage aus Ankara ist deshalb vor allem eines. Sie ist eine Farce. Sie entwertet den wichtigen Kampf gegen Kriegsverbrechen. Sie macht ihn zu einem Werkzeug in den Händen eines Mannes, der selbst keine saubere Weste hat. Wahre Gerechtigkeit ist nicht wählerisch. Sie gilt für alle oder sie ist gar nichts. Und diese Wahrheit sollte man gerade in Ankara einmal ganz laut aussprechen.
