Eine Gefahr für den Welthandel und Deutschlands Exportmodell

Die Studie „Welthandel am Abgrund“ des ifo Instituts analysiert die radikale Wende der US-Handelspolitik unter Präsident Trump 2.0 und beleuchtet deren Folgen für Deutschland. Schon wenige Monate nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus trieb Trump die US-Einfuhrzölle in eine Höhe, die zuletzt in den 1920er- und 1930er-Jahren erreicht worden war, und erzeugte ein bislang ungekannter Maß an handelspolitischer Unsicherheit.

Erster Befund der Autoren: Die vielbeschworene „Zolllücke“, wonach Europa angeblich systematisch höhere Zölle als die USA erhebe, trägt nicht. Auf Produktebene lagen 2023 bei etwa der Hälfte der US-Importe in die EU die europäischen Zollsätze sogar unter den US-Sätzen. Durchschnittlich klafft zwischen beiden Wirtschaftsräumen nur ein Differenz von 0,5 bis 0,9 Prozentpunkten – ein marginaler Wert, der das Narrativ einer strukturellen Benachteiligung der USA widerlegt. Besondere Ausreißer finden sich lediglich in den Bereichen Transportausrüstung, Landwirtschaft und Chemikalien, während Textilien oder Erdölprodukte eher mit niedrigeren EU-Zöllen belegt sind.

Trotz dieser Fakten lancierte Washington am sogenannten „Liberation Day“ (2. April 2025) länderspezifische „reziproke“ Strafzölle, die sich nicht an realen Zolldifferenzen, sondern an bilateralen Handelsüberschüssen orientieren. So soll Vietnam mit 46 % belegt werden, während Brasilien trotz höherer Durchschnittszölle glimpflich davonkäme. Für die EU war zunächst ein Aufschlag von 20 % angekündigt; die Simulation rechnet später sogar mit 50 %. Diese Praxis unterminiert das WTO-Prinzip der Gleichbehandlung und offenbart, dass es der Trump-Administration weniger um Reziprozität als um ein politisch nutzbares Druckmittel geht.

Um die längerfristigen Wirkungen zu quantifizieren, setzt das ifo Handelsmodell drei Szenarien an: (1) eine Übergangsphase mit einem pauschalen 10-Prozent-Aufschlag (ausgenommen Stahl, Aluminium, Autos, Autoteile, jeweils 25 %), (2) die vollständige Rückkehr zu hohen, länderspezifischen Strafzöllen plus 25 % auf Pharma und Elektronik und (3) ein Gerichtsurteil, das länderspezifische Abgaben stoppt, aber die produktspezifischen Zölle bestehen lässt.

Die Exporte deutschen Ursprunges in die USA schrumpfen in allen drei Varianten massiv – um knapp 15 % im Szenario 1, um 38,5 % bei 50-Prozent-Zöllen und um 17 % bei reinen Produktabgaben. Dennoch fällt der Rückgang der gesamten deutschen Ausfuhren moderat aus (maximal -2,5 %), weil Lieferungen in die EU leicht zunehmen und Teile der Wertschöpfungskette umgelenkt werden. Exporte nach China sinken hingegen in jedem Szenario, ein Hinweis auf globale Spillover-Effekte.

Auf Ebene der Wertschöpfung trifft es die Industrie am härtesten: Verluste bis zu 2,8 % im Schnitt, in der Automobilbranche bis 6 % und in der Pharmasparte bis 9 %. Dienstleistungen sowie Landwirtschaft und Bergbau verzeichnen hingegen leichte Zugewinne – ein Spiegelbild verschobener Wettbewerbspositionen, wenn US-Produkte durch Zölle teurer werden.

Politisch skizzieren die Autoren zwei Antwortpfade: Entweder Zugeständnisse ohne Gegenmaßnahmen – wie sie Großbritannien oder die Schweiz erwägen – oder eine harte Reziprozität nach chinesischem Vorbild. Die EU verfolgt bislang ein labiles Gleichgewicht aus Angeboten und Drohungen. Dabei warnen die Autorinnen und Autoren: Ein Sonderdeal mit Washington darf die WTO-Regeln nicht offen verletzen, will Brüssel seine Rolle als Verteidiger des regelbasierten Welthandels bewahren. Gleichzeitig sollten Vergeltungszölle nicht zu spät kommen, um ihre Abschreckungswirkung zu behalten.

In der strategischen Abwägung raten die Forscher, das Konfliktfeld auf die USA (rund 15 % des Welthandels) einzudämmen und den verbleibenden 85 % einen verlässlichen Rahmen zu sichern – durch neue Handelsabkommen mit Mercosur, Indien oder Indonesien, plurilaterale WTO-Initiativen und eine Vertiefung des EU-Binnenmarkts. So ließen sich transatlantische Verluste teilweise kompensieren und Europas Resilienz in einer fragmentierten Weltwirtschaft stärken.

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