In einer Gesellschaft, die sich gerne als meritokratisch versteht, ist die Vorstellung tief verankert, dass Leistung belohnt wird und jeder – unabhängig von Herkunft – die Chance auf sozialen Aufstieg hat. Doch die Realität erzählt eine andere Geschichte. Privilegien, häufig durch Geburt oder Zufall erlangt, verändern nicht nur die materielle Ausgangslage, sondern auch das Verhalten der Menschen – sowohl der Privilegierten als auch der Benachteiligten.
Das Experiment mit dem ungleichen Spiel
Ein besonders eindrückliches Beispiel liefert ein Experiment des Sozialpsychologen Paul Piff von der University of California, Berkeley. Zwei Probanden spielen eine manipulierte Runde Monopoly. Ein Münzwurf entscheidet, wer der „reiche“ Spieler wird. Dieser bekommt zu Beginn doppelt so viel Startkapital, darf mit zwei Würfeln ziehen und erhält beim Überqueren von „Los“ die doppelte Summe. Ein klarer struktureller Vorteil – völlig zufällig vergeben.
Die Ergebnisse sind frappierend. Schon nach kurzer Zeit verhalten sich die privilegierten Spieler dominanter, lauter und fordernder. Sie nehmen mehr Raum ein, unterbrechen häufiger, greifen selbstverständlicher zu bereitgestellten Snacks. Am Ende des Spiels führen viele von ihnen den Sieg nicht auf ihre Startvorteile zurück, sondern auf eigene Fähigkeiten. Der zufällige Gewinn wird als verdient wahrgenommen – ein psychologischer Mechanismus, der tief ins gesellschaftliche Selbstverständnis reicht.
Der psychologische Wandel durch Macht
Privilegien beeinflussen nicht nur das Ergebnis eines Spiels – sie verändern die Menschen selbst. Studien zeigen, dass bereits geringe Statusunterschiede zu einem Wandel im Selbstbild führen. Wer privilegiert ist, hält sich mit der Zeit eher für kompetenter, leistungsfähiger, gar moralisch überlegen. Gleichzeitig schwindet das Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse anderer.
Diese Selbstüberhöhung ist keineswegs Ausdruck von Arroganz allein – sie ist vielmehr Ausdruck eines psychologischen Anpassungsprozesses. Der Mensch passt seine Haltung an den Status an, den ihm das Umfeld zuschreibt oder den er zufällig erhalten hat. Je länger dieser Zustand anhält, desto stärker verfestigt sich das Bild von „Eigenleistung“, auch wenn der Erfolg auf strukturellen Vorteilen beruht.
Die stille Akzeptanz der Benachteiligten
Doch nicht nur die Privilegierten verändern sich – auch die weniger Begünstigten passen ihr Verhalten an. Sie akzeptieren oftmals die Hierarchie, verhalten sich zurückhaltender und hinterfragen seltener das System, das sie benachteiligt. Die innere Bereitschaft, sich unterzuordnen, ist ein weiterer Faktor, der soziale Ungleichheit stabilisiert. Das Gefühl, weniger wert zu sein, weil man weniger besitzt, ist tief internalisiert – auch wenn die Fakten anderes nahelegen.
Eine Illusion namens Leistungsgesellschaft
Gerade in westlichen Demokratien ist die Idee der Leistungsgesellschaft ein zentraler Mythos: Jeder könne es „vom Tellerwäscher zum Millionär“ schaffen. In Wahrheit hängt der soziale Aufstieg in hohem Maße von Faktoren ab, die nicht beeinflussbar sind: Herkunft, Bildung der Eltern, soziales Netzwerk, Startkapital. Wer viel besitzt, hat es leichter, noch mehr zu bekommen. Wer wenig hat, kämpft gegen Barrieren, die oft unsichtbar bleiben.
Was folgt daraus?
Die Erkenntnis, dass Privilegien das Verhalten tiefgreifend beeinflussen, sollte zu einem bewussteren Umgang mit dem Begriff „Verdienst“ führen. Erfolg ist nicht immer Ausdruck harter Arbeit, ebenso wie Misserfolg nicht zwangsläufig Faulheit bedeutet. Wenn wir als Gesellschaft wirklich gerecht sein wollen, müssen wir die Macht des Zufalls anerkennen und Strukturen schaffen, die gleiche Chancen tatsächlich ermöglichen – nicht nur versprechen.
Das beginnt mit Bildung, mit fairen Steuersystemen, mit einem offenen Diskurs über Reichtum und Verantwortung. Und es setzt voraus, dass wir den Mut aufbringen, unsere eigenen Privilegien zu hinterfragen – selbst wenn sie sich angenehm anfühlen. Denn nur wer anerkennt, dass nicht alles selbst gemacht ist, kann anfangen, Gerechtigkeit wirklich zu gestalten.
Fazit:
Privilegien sind nicht nur ein ökonomisches oder soziales Phänomen – sie formen die Psyche. Sie machen Menschen selbstbewusster, aber auch selbstgerechter. Wer will, dass unsere Gesellschaft fairer wird, muss verstehen, wie stark der Zufall unser Verhalten bestimmt – und wie sehr wir dazu neigen, ihn zu ignorieren.